Das Geheimnis der Maurin
geworden. Immerhin waren unter seinen Lehrern nicht nur der engstirnige Deza, sondern auch Humanisten wie Lucio Marineo Sículo, außerdem war er eng mit den Söhnen von Kolumbus befreundet und hatte von denen eine weit offenere Sicht von der Welt übernommen, als du sie bei seinen Eltern finden kannst. Wer weiß, wer uns, wenn die Zeit gekommen ist, nun an seiner statt regieren wird!«
»Stimmt«, brummte Zahra. »Er war ja Isabels einziger Sohn!«
Raschid nickte. »Seine Mutter soll ganz und gar untröstlich sein; es gibt sogar Leute aus ihrem Umfeld, die befürchten, dass sie ihm aus Kummer ins Grab folgen könnte. Sie scheint nur noch ein Schatten ihrer selbst zu sein!«
Zahra war Mutter genug, um den Kummer der Königin trotz ihrer Ablehnung nachempfinden zu können. »Und wer tritt nun in Juans Fußstapfen als Thronfolger?«
»Ich habe gehört, dass Juan noch kurz vor seinem Tod ein Testament aufgesetzt hat. Seine Frau ist guter Hoffnung, und er hat dieses Kind als Erben bestimmt. Würde das Kind sterben, fiele die Macht an seine älteste Schwester, an Isabel.«
»Hat Isabel nicht letzte Woche den portugiesischen König, diesen Manuel, geheiratet? Und war es nicht eben diese Ehe, deretwegen sich die portugiesischen Juden alle taufen lassen mussten, weil sie ebenso glaubensfanatisch wie ihre Mutter ist?«
Raschid nickte wiederum. »Das stimmt, ja, aber noch können wir ja auf Margarete und ihr ungeborenes Kind hoffen – und darauf, dass sie einen Sohn zur Welt bringt und dass er am Leben bleibt! Warten wir also ab, was geschehen wird.«
Zahra atmete schwer aus. »Ich beginne, deine bekümmerte Miene zu verstehen: Nichts ist mehr vorhersehbar – auch für uns nicht! Wie konnte Juan überhaupt so plötzlich sterben? Er war doch noch ein ganz junger Mann!«
»Er war erst neunzehn, ja, aber schon immer kränklich. Jaime hat mir einmal erzählt, dass die Ärzte ihn als Kind lange ausschließlich mit Schildkrötenfleisch ernährt haben, weil sie hofften, ihn dadurch widerstandsfähiger zu machen. Über immer größere Entfernungen mussten die Tiere damals herbeigeschafft werden, und stets ging die Angst um, dass sie eines Tages einmal keine Tiere mehr für ihn finden könnten!«
»Und das Schildkrötenfleisch hat ihm geholfen?«
»Anscheinend; aber eine gewisse Anfälligkeit ist ihm geblieben. Vor einem halben Jahr hat er Margarete geheiratet, die Tochter des römisch-deutschen Königs Maximilian – ein genialer Schachzug von Fernando. Für ihn bot diese Ehe Rückendeckung im Norden gegen seinen Dauerfeind, den Franzosenkönig Carlos, und um diesen Schutzbund mit Maximilian weiter zu verstärken, hat Fernando auch Juans Schwester Juana mit einem von Maximilians Kindern verheiratet, mit dessen Sohn Felipe. Du erinnerst dich gewiss noch an die Doppelhochzeit, oder? Man erzählt sich übrigens, dass sich beide Ehen, obwohl sie aus rein strategischen Gründen geschlossen worden sind, schnell zu wahren Liebesehen entwickelt haben. Juan soll seine Frau abgöttisch geliebt haben. Auf dem Weg nach Portugal zur Hochzeit seiner Schwester Isabel wurde er von einem heftigen Fieber befallen, das ihn binnen weniger Tage hinweggerafft hat. Manche behaupten allerdings auch, er habe sich an seiner Ehefrau zu Tode geliebt.«
»So gibt es also auch bei den Katholischen Königen Ereignisse, die sich nicht so entwickeln, wie sie es geplant haben!«, kommentierte Zahra trocken.
»Zahra, also wirklich!«
»Aber es ist doch wahr! Immerhin haben die Kastilier uns besiegt, jetzt siegen sie in Italien und Neapel, auch in der von Kolumbus neu entdeckten Welt breiten sie sich nach Gutdünken aus, und mit dieser neuen Ehe in Portugal machen sie sich einen weiteren alten Feind zum Verbündeten. Und zu guter Letzt dann auch noch den mächtigen Maximilian als doppelten Schwiegervater … Bei so viel Erfolg klingt es fast wie Hohn, dass den Königen jetzt der einzig männliche Erbe für ihr riesiges Imperium wegstirbt!«
Raschid hob die Achseln. »Übrigens – wo wir schon beim Thema sind: Dir würde auch kein Zacken aus der Krone brechen, wenn du mal zugibst, dass es uns unter den Kastiliern sehr viel bessergeht, als wir befürchtet haben: Mit dem Grafen de Tendilla und Talavera haben wir zwei wahrhaft kluge, weitsichtige und milde Führer in Granada, die uns aus ganzem Herzen wohlgesinnt sind!«
Zahra verzog das Gesicht. »Falls du es schon vergessen hast: Das Leben in einem maurischen Reich fühlt sich anders
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