Das Geheimnis der Maurin
gemein!«, sprühte sie ihrer Mutter entgegen und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen vom Gesicht. »Was ist denn plötzlich so schlimm daran, wenn Aaron und ich zusammen ausreiten? Schließlich haben wir das schon immer getan, und bisher hat auch niemand etwas dran gefunden – außer Abdu vielleicht, aber der konnte Aaron ja von Anfang an nicht leiden und würde mich sowieso am liebsten rund um die Uhr in meinem Zimmer einsperren. Aber Ihr, Mutter, was habt denn auch Ihr plötzlich gegen Aaron?«
»Aber Kind, das richtet sich doch nicht gegen Aaron!« Zahra seufzte, nahm Chalida diesmal sanfter am Arm und ging mit ihr zurück zum Diwan. »Komm, lass uns in Ruhe darüber reden. Bitte, Chalida!«
Widerstrebend ließ sich Chalida mitziehen. Ihrer Miene war anzusehen, was sie von dieser Mutter-Tochter-Aussprache hielt – zumal es nicht die erste dieser Art war. In den letzten Monaten waren sie schon unzählige Male aufeinandergeprallt, und wenn Tamu nicht immer wieder zwischen ihnen vermittelt hätte, hätte Zahra sich schon lange nicht mehr zu helfen gewusst. Zu ihrem Ärger unterstützte Jaime sie in keiner Weise, sondern nahm Chalida oft genug auch noch in Schutz.
Zahra setzte sich und veranlasste Chalida, es ihr gleichzutun. »Chalida, hör zu. Mir ist klar, dass Aaron in den zwei Jahren, die er nun zu unserer Familie gehört, fast wie ein Bruder für dich geworden ist, zumal ihr euch von Anfang an so gut verstanden habt. Aber jetzt, da du regelmäßig deine Blutung hast, bist du kein Kind mehr, und deswegen gehört es sich nicht, dass du weiter so viel mit ihm zusammen bist. Ganz gleich, was du für ihn empfindest – in Wahrheit ist er eben nicht dein Bruder!«
»Mutter, wir sind zusammen ausgeritten. Aus-ge-rit-ten!«
»Ich unterstelle dir auch gar nichts anderes, aber in zwei oder drei Jahren wirst du Musheer heiraten, und wenn er oder seine Familie erfahren, dass du stundenlang mit einem jungen Mann durch die Wälder streifst …«
»Das können sie von mir aus sofort erfahren, und Ihr wisst genau, dass ich Musheer ohnehin nicht heiraten will!«, fiel Chalida ihr heftig ins Wort.
»Was du willst oder nicht willst, ist unerheblich«, hörte Zahra sich weit schärfer erwidern, als sie vorgehabt hatte. Chalida starrte sie mit funkelnden Augen an. Unwillkürlich musste Zahra an die Gefühlsstürme denken, die in ihr getobt hatten, als sie in Chalidas Alter gewesen war. Ja, auch sie war damals alles andere als begeistert davon gewesen, mit einem ihr wildfremden Mann verheiratet zu werden, dabei war Kamal, ihr erster Bräutigam, gewiss keine schlechte Wahl ihrer Eltern gewesen, und je älter sie wurde, desto häufiger fragte sie sich, wie ihr Leben wohl verlaufen wäre, wenn er nicht kurz vor der Hochzeit gestorben wäre. Dann wäre sie mit ihm nach Marokko gezogen, nach Fez, wo zu dieser Zeit auch noch ihre Halbschwester Hayat mit ihrem ersten Mann gelebt hatte. All das Elend, die Not und Ängste, die sie im Krieg um das Königreich Granada erlitten hatte, wären ihr erspart geblieben – und so manch anderes mehr. In Marokko würde sie überdies auch heute noch unter Muslimen leben können und nicht in ständiger Sorge sein müssen, wie lange sie ihren Glauben noch frei würde ausüben können. Zahra fragte sich, wie es Hayat ging. Seit fünfzehn Jahren hatte sie die Halbschwester nicht mehr gesehen, und seit diese nach der Geburt ihres dritten Kindes den christlichen Glauben ihres Geliebten angenommen und ihn geheiratet hatte, war auch ihr Briefverkehr nahezu zum Erliegen gekommen. Zahra wusste, dass sie daran nicht unschuldig war. In ihren Briefen fehlte es seither an Offenheit und Herzlichkeit. Zwar verstand sie, dass Hayat nach all den Jahren, die sie mehr oder minder verborgen mit Miguel bei den Christen in der ständigen Angst gelebt hatte, als Muslima entdeckt zu werden, diesen letzten Schritt hatte tun müssen. Dennoch war durch ihren Abfall vom muslimischen Glauben ein tiefer Graben zwischen ihnen entstanden, weswegen sie auch nach Kriegsende nie versucht hatte, Hayat in Córdoba zu besuchen.
Erst jetzt gestand Zahra sich ein, dass Hayats Glaubenswechsel ihr Angst gemacht hatte, ja, es war fast, als hätte sie ihr damit ein Zerrbild ihrer eigenen Zukunft gespiegelt … Aber sosehr sie Jaime auch liebte – ihren Glauben, das wusste Zahra, würde sie niemals für ihn aufgeben. Der Austritt aus der religiösen Glaubensgemeinschaft der Muslime, der
umma,
war undenkbar für sie. Von
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