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Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)

Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Geiges
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unfreiwillig zum Opfer der Dämpfe zu werden, und betrachtete mit Befriedigung ihren schlafenden Patienten. Da lag er nun, der große und großmäulige Bruder Thomas, hilflos wie ein Käfer auf dem Rücken. Nur dass er nicht mal mehr zappelte.
    Jetzt werden wir mal sehen, wer du in Wirklichkeit bist, Bruder Thomas!, dachte Anna, und nahm sich als Erstes den prall gefüllten Geldbeutel des Mönchs vor, der an seinem Zingulum festgemacht war. Sie löste ihn vom Gürtel, öffnete ihn und leerte den Inhalt auf den Hocker. Es klimperte zwar metallisch, aber es waren keine Münzen, die da zum Vorschein kamen, sondern wertlose runde Eisenplättchen. So sah also das Barvermögen aus, mit dem sie der Benediktinermönch ködern wollte, eine Arbeit zu tun, die nur ein Scharlatan durchführen würde.
    Anna überprüfte, ob Herzschlag und Atem des Besinnungslosen noch funktionierten, wie sie sollten, ein Leid wollte sie ihm ja nicht antun, und eilte dann schnurstracks in die Küche, wo Bruder Thomas seine Tasche auf dem Boden neben dem Tisch abgestellt hatte. Es war eine billige Reisetasche aus Leinen, offenbar selbstgeschneidert. Sie klappte sie auf und sah hinein. Was sie aus dem Inneren zutage förderte, war saubere Wäsche; eine Bibel, die mit vielen handschriftlichen Kommentaren und Unterstreichungen versehen war; ein trockenes Brot, ein Stück Speck und ein Stück Käse, in ein Tuch eingewickelt; eine zusammengelegte Ersatztunika; ein Stück Seife und ein scharfes Messer, ebenfalls in ein Tuch eingewickelt; und ganz unten, in einer aufgenähten Seitentasche versteckt, zwei schmale Büchlein. Zwischen den Seiten des zweiten steckte ein Brief mit gebrochenem Siegel. Anna betrachtete es genauer. Es war das päpstliche Siegel, die Tiara mit zwei gekreuzten Schlüsseln, die mit einer Kordel verbunden waren. Sie drehte den Brief herum. Adressiert war er an den Abt des Klosters Weingarten, Hugo von Montford. Also hatte Bruder Thomas doch die Wahrheit gesagt? Es konnte nicht schaden, einen Blick auf das Schreiben zu werfen, solange Bruder Thomas noch schlief.
    Aber zuerst sah sie sich die zwei Bücher näher an, offenbar handschriftliche Kopien aus einem klösterlichen Skriptorium . Das erste war betitelt »Liber subtilitatum diversarum naturarum creaturarum«, also »Buch über das innere Wesen der verschiedenen Kreaturen und Pflanzen«, das zweite hieß »Causae et curae«, »Ursachen und Heilungen«, beide verfasst von Hildegard von Bingen. Die zwei berühmten Bücher der vor vielen Jahren verstorbenen Äbtissin, die sich mit der Wirkung von Heilpflanzen und der Entstehung und Behandlung von Krankheiten befassten. Anna hatte davon gehört, gesehen hatte sie sie noch nie. Sie musste die beiden Bücher von Bruder Thomas unbedingt lesen.
    Dann endlich entfaltete Anna den Brief. Er war auf Lateinisch verfasst und von einem päpstlichen Sekretär im Namen des Kardinals Raniero Capocci unterschrieben. Der Brief, der laut Datum etwa ein Jahr alt war, bestätigte nach den üblichen umständlichen Eingangsfloskeln und Formalitäten, dass die von Abt Hugo von Montford ausgesprochene excommunicatio latae sententiae des Infirmarius Bruder Thomas wegen dessen ständiger und – trotz mehrfacher Mahnungen – fortgesetzter Insubordination und schuldigem Verlassen des Ordens angebracht und rechtlich wirksam sei und mit diesem Schreiben vom Heiligen Stuhl abgesegnet werde. Weiterhin erklärte sich der Unterzeichnete mit dem Vorschlag des Abtes einverstanden, den uneinsichtigen Infirmarius Bruder Thomas für alle Zeiten aus dem Kloster Weingarten zu verbannen. Außerdem sei zu verfügen, dass er aller Rechte, die aus Amt und Würden eines Infirmarius abgeleitet waren, verlustig zu gehen habe. Der Brief schloss mit der Formel »Gott sei seiner Seele gnädig« und einem Ostergruß an den hochgeschätzten Abt von Weingarten.
    Anna musste tief durchatmen, nachdem sie das Schreiben gelesen hatte. Mit diesem Brief war die Existenz von Bruder Thomas mit einem Schlag vernichtet worden. Er besagte, dass es Bruder Thomas eigentlich nicht mehr gestattet war, mit dem Habit der Benediktiner und dem Auftreten als Bruder Thomas durch die Lande zu ziehen. Er war exkommuniziert worden, aus der Kirche ausgestoßen, seiner Ämter enthoben. Was er wohl verbrochen hatte, um die schlimmste aller Kirchenstrafen auf sich zu ziehen? Excommunicatio latae sententiae konnte vieles bedeuten. Wenn er wieder wach und einigermaßen klar im Kopf war, würde sie ihm sagen

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