Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)
herumspielte und darauf wartete, was Anna vorzubringen hatte.
»Ihr seid also der Meinung, dass der Unterschenkel abgenommen werden muss?«, fragte sie ihn.
Er nickte. »Das würde Euch jeder raten, der etwas davon versteht. Und ich habe einige Verletzungen dieser Art behandelt, das könnt Ihr mir glauben. Wenn der Graf nicht Einwände gehabt hätte, wäre das Bein schon längst ab und Junker Chassim hätte das Schlimmste überstanden. Ich sage Euch: Das Bein ist nicht mehr zu retten!«
»Ich will nicht länger mit Euch darüber streiten, Feldscher . Und auch nicht leugnen, dass Ihr viel mehr Erfahrung auf diesem Gebiet habt als ich.«
Sie gab Bruder Thomas ein Zeichen, dass er schon alles vorbereiten sollte für den Eingriff. Der bekam eben eine volle Wasserschüssel vom Pferdeknecht hereingereicht. Einen präparierten Schlafschwamm hielt er schon in der Hand und wartete nur noch auf Annas Anweisung. Als sie ihm zunickte, gab Bruder Thomas sofort den Schlafschwamm ins Wasser, bis der sich vollgesogen hatte, und drückte ihn dann dem stöhnenden und vor Schmerz schon halb ohnmächtigen Chassim auf Mund und Nase.
»Tief einatmen, Junker Chassim!«, sagte er und wartete.
Misstrauisch wollte der Feldscher verfolgen, was Bruder Thomas tat, aber Annas Blick nagelte ihn fest. Anna wusste, dass sie sich auf ihren Infirmarius voll und ganz verlassen konnte, und ließ den Feldscher nicht aus den Augen.
Sie sagte: »Aber ich frage Euch, ist es für einen Medicus bei einem Menschen nicht die höchste Pflicht, alles zu tun, um das Bein zu retten? Oder wollt Ihr, dass Junker Chassim in Zukunft nur noch in seinem Sessel vor dem Kaminfeuer sitzen und Holzscheiten beim Abbrennen zusehen kann?!«
Sie war laut und heftig geworden, aber der sture Feldscher gab nicht nach. »Besser im Sessel sitzen als tot sein. Ihr habt wohl noch nie etwas von Wundbrand gehört, Gnädigste? Der wird sich unweigerlich einstellen, wenn Ihr versucht, diesen offenen Bruch zu behandeln. Junker Chassim bekommt Fieber und ist in zwei Wochen tot. Und eines könnt Ihr mir glauben: In diesen zwei Wochen wird er Euch zur Hölle wünschen, weil er vor Schmerzen nur noch schreien wird, wenn er nicht gerade besinnungslos ist.«
»Das reicht«, sagte Anna zu Bruder Thomas, dessen Vorgehen sie bei dem Streit mit dem Feldscher aus dem Augenwinkel heraus genau verfolgt hatte. Bruder Thomas nahm den Schlafschwamm von Chassims Gesicht und warf ihn aus dem Zelt. Dann bereitete er das Aqua Vitae vor.
»Überlasst Ihr mir Eure Säge?«, fragte Anna den Feldscher und hielt ihm die Hand hin. Der Feldscher reichte sie ihr erstaunt.
Sie überprüfte die Zähne der Säge und gab das Gerät an Bruder Thomas weiter mit den Worten: »Die ist wohl besser für Holz geeignet.« Sie wies auf die zahlreichen Holzlanzen, die in der Ecke standen. »Nehmt Euch von den Lanzen, so viel Ihr braucht, und sägt sie so ab, dass wir damit das Bein fixieren können.«
Bruder Thomas machte sich sogleich ans Werk, während der Feldscher rot anlief und fassungslos den Kopf schüttelte. In seinem Blick lag eine Mischung aus Wut und Verachtung.
»Dann lasst ihn meinetwegen vor die Hunde gehen! Ich will damit nichts zu tun haben«, sagte er verächtlich und spuckte vor den beiden aus, bevor er das Zelt verließ.
Anna beachtete ihn nicht weiter und begann bereits vorsichtig, Chassims Wunde mit einem in Aqua Vitae getauchten Tuch zu säubern. Bruder Thomas brummelte etwas Unverständliches und half ihr dabei. Dann sahen sie die Wunde genauer an. Die Blutung war zum Stillstand gekommen, Anna entfernte ihren Gürtel, den sie um Chassims Oberschenkel geschlungen hatte.
Bruder Thomas sagte: »Das ist kein einfacher Bruch. Und was der Feldscher über Wundbrand gesagt hat, ist richtig. Wenn er Wundbrand und Fieber bekommt, ist Junker Chassim so gut wie tot.«
»Das weiß ich. Aber ich weiß auch, dass er von uns erwartet, alles zu versuchen, um sein Bein zu retten.«
Sie sahen sich an, schließlich nickte Bruder Thomas.
»Ja. Vielleicht habt Ihr recht. Versuchen wir es.«
Zu zweit arbeiteten sie Hand in Hand an Chassims Bein. Bruder Thomas tauchte alle Instrumente vor ihrer Benutzung in Aqua Vitae, nachdem sie sich beide sorgfältig die Hände mit einer leichteren Lösung davon gewaschen hatten. Dann säuberte Anna die Wunde von Sand und kleinen Knochensplittern, sorgfältig zupfte sie Splitter um Splitter mit einer Pinzette heraus. Anschließend erweiterte sie die Wunde mit dem Messer,
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