Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)
sogleich nachkam. Als sie fertig war, wischte er sich selbst die Seifenreste mit einem Tuch aus dem Gesicht.
»Danke, Anna. Danke für alles«, sagte er leise. Als sie die Rasiersachen wegräumte, fragte er: »Was hast du, Anna? Was ist mit dir?«
Anna kümmerte sich um seine Wundnaht, trug Heilsalbe auf und wandte den Blick nicht von seinem verletzten Bein. »Was soll mit mir sein?«
»Du wirkst bedrückt. Kann ich dir helfen?«
»Oh, ich denke, es ist besser, Ihr helft Euch selbst.«
»Dann sag mir bitte, wie lange es dauert, bis ich wieder auf eigenen Beinen stehen kann.«
»Der äußerliche Heilungsprozess verläuft besser, als ich es erhofft habe. Aber ich weiß nicht, wie es im Inneren Eures Beines aussieht und wie schnell der Knochen wieder zusammenwächst. Das dauert, und ich möchte auf gar keinen Fall Gefahr laufen, dass Ihr zu früh auftretet und der Knochen erneut bricht. Außerdem muss ich Euch darauf hinweisen, dass Ihr höchstwahrscheinlich für den Rest Eures Lebens leicht humpeln werdet. Ich befürchte, Euer gebrochenes Bein wird kürzer sein als das gesunde.«
Chassim zuckte mit den Achseln. »Immer noch besser, als mit einem Holzbein herumzulaufen, oder?«
»Das denke ich auch. Ich möchte Euch nicht zu viel versprechen, aber ich werde versuchen, Euch etwas anzupassen, mit dem Ihr schon jetzt ein paar Schritte gehen könnt. Es ist ein Experiment, und Ihr seid der Erste, an dem ich es ausprobiere«, sagte Anna geheimnisvoll.
»Ein Experiment? Das klingt vielversprechend. Was muss ich tun?«, fragte Chassim neugierig. »Oder besser: Was tust du mit mir? Wird das etwa doch ein geheimer Zauber? Ich bin bereit und werde es auch niemandem weitererzählen«, grinste er.
Anna blieb ernst und schüttelte den Kopf. »Ihr gebt zu viel auf Gerüchte, lieber Graf!«
»Lieber Graf!« Er sah nach oben gen Himmel und drückte die Handflächen aufeinander wie zum Gebet. »Danke, dass du meine Gebete endlich erhört hast, Jesus Christus! Sie hat mich lieber Graf genannt! Was für ein Fortschritt!«
»Ich sehe schon, Ihr nehmt mich nicht ernst, Junker Chassim.«
»Oh doch, und wie ich dich ernst nehme, Anna! Mehr als du dir vorstellen kannst. Ich wünschte mir nur, du würdest mich nicht ständig wie einen unmündigen Patienten behandeln.«
»Sondern?«
»Nun, es wäre meiner Genesung bestimmt förderlich, wenn du mich noch einmal so behandeln würdest wie oben am Bach nach dem Buhurt .«
Er erwischte Anna am Arm und zog sie zu sich heran. Sie wehrte sich nicht und ließ es zu, bis ihre Nasen sich fast berührten.
Sie flüsterte: »Darüber sprechen wir, lieber Graf, sobald Ihr wieder ganz gesund seid, vorher nicht.«
»Auch keine kleine Belohnung für meine Geduld als Patient? Jetzt gleich?«, sagte er sanft, und zwischen ihrer beider Lippen hätte in diesem Moment gerade noch eine Feder gepasst.
»Wolltet Ihr nicht wissen, was für ein Experiment ich mit Euch vorhabe?«, hauchte Anna, und Chassim hauchte zurück: »Was auch immer es ist, du kannst mit mir machen, was du willst …«
Er schloss die Augen in Erwartung eines Kusses. Anna zögerte. Am liebsten hätte sie in diesem Moment alles um sich herum vergessen und wäre ihm endlich um den Hals gefallen. Stattdessen berührte sie seine geschlossenen Augenlider nacheinander mit ihren Lippen, löste sich wieder von ihm und stand auf.
»Ich habe lange in meinen Büchern danach gesucht, die mir mein jüdischer Lehrmeister hinterlassen hat. Er hat mir von einer Methode erzählt, die im Morgenland zuweilen angewendet wird, wenn ein gebrochener Arm oder ein gebrochenes Bein dauerhaft ruhiggestellt werden soll. Und ich habe die Rezeptur dafür gestern Nacht gefunden!«, sagte sie mit traurigem Stolz und klopfte auf einen schweren Folianten, den sie mitgebracht und nun hervorgezogen hatte. »Und, was noch wichtiger ist, der Medicus hatte noch einen Vorrat von dem Material, das man für diese Methode braucht, in der Scheune deponiert, damit es trocken bleibt.«
»Was meinst du damit? Was ist das für ein Material? Und was für eine Methode?«
»Sie wird Euch helfen, schneller wieder gehen zu können, und wird gleichzeitig dafür sorgen, dass Euer Bein stabil in einer Lage bleibt, so dass die gebrochenen Knochen wieder zusammenwachsen können. Der Name des Materials wird Euch nichts sagen. Er kommt aus dem Griechischen, und man verwendet den Stoff vornehmlich als eine Art Mörtel. Handwerker nennen ihn Gips.«
»Gips, aha. Und was willst du damit
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