Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)
die Brust. Er packte ihn und fragte verblüfft: »Was habt Ihr vor? Wollt Ihr sie verbrennen?«
»Ja sicher. Damit jeder den Rauch sieht und behauptet, wir kochen irgendwelche Zaubertränke. Nein, ich stecke sie in die Truhe und vergrabe sie hinter der Scheune.«
Erst jetzt entdeckte Bruder Thomas die große Truhe, in der schon etliche Bücher lagen. »Ich glaube, es ist an der Zeit, miteinander zu sprechen«, stellte er fest und legte den Stapel in der Truhe ab.
Anna setzte sich auf die Treppe und bot plötzlich ein Bild der Mutlosigkeit und Erschöpfung. »Irgendetwas muss ich doch machen. Ich kann doch nicht dastehen und tatenlos warten, bis sie mich abholen. Ich weiß nur nicht, wo ich anfangen soll«, sagte sie.
»Gut, die verbotenen Bücher sollten wir tatsächlich besser verstecken. Aber dann? Wollt Ihr Eure ganzen Instrumente, deren Funktion sicher niemand kennt und die deshalb des Teufels sind, oder gar Eure Destillationsapparatur ebenfalls vergraben?«
»Nein. Das will ich nicht. Und das kann ich auch nicht.«
Bruder Thomas setzte sich neben die Medica auf die Treppe. Er fühlte sich auf einmal unendlich müde. »Anna, sie werden ohnehin hierherkommen und das Unterste zuoberst kehren. Für ihre angeblichen Beweise. Ich weiß, wovon ich rede. Ich habe das schon mal erlebt.«
»Einen Hexenprozess?«
»Ja. Das war der letzte, aber entscheidende Anlass für mich, meinem Kloster den Rücken zu kehren und nach einem Ort zu suchen, wo es noch Gerechtigkeit gibt.«
»Glaubt Ihr, es wird mir Gerechtigkeit widerfahren?«
»Oh nein. Den Glauben daran habe ich längst verloren.«
Als er die Verzweiflung in ihrem Gesicht sah, tat ihm das Gesagte sofort leid. »Verzeiht mir, ich wollte Euch nicht noch den letzten Rest von Mut und Zuversicht nehmen.«
»Schon gut. Erzählt mir lieber, wie es damals abgelaufen ist bei diesem Prozess.«
»Es ist immer das gleiche Verfahren. Zuerst werdet Ihr angezeigt. Dazu muss Euch keiner gesehen haben, wie Ihr dreimal auf einem Besen um den Kirchturm geflogen seid, auch wenn der Erzbischof sicher jemanden auftreibt, der das behauptet. Der Grund kann ein ganz einfacher sein. Neid, Hass, Missgunst. Und Ihr habt viele Neider, die es Euch nicht gönnen, Medica zu sein. Der Erzbischof wird genügend Leute finden, die Euch verleumden. Eure Schuld ist von vornherein erwiesen, egal, welche Argumente Ihr Euch zurechtlegt, um die Anschuldigungen zu entkräften. Oder welche Zeugen Ihr aufbringen könnt, die zu Euren Gunsten aussagen. Und wenn Ihr nicht freiwillig gesteht, mit dem Teufel paktiert oder noch schlimmere Dinge getrieben zu haben, dann finden sie noch ganz andere Mittel und Wege, Euch zu einem Geständnis zu bewegen.«
»Ihr meint die peinliche Befragung …«
»Die Folter, ja.« Bruder Thomas nickte. »Und glaubt mir, unter der Folter gesteht Ihr alles, was sie hören wollen.«
Anna schüttelte resigniert den Kopf. »Was bleibt mir dann?«
»Uns. Was bleibt uns, Anna! Ich bin genauso im Visier des Erzbischofs wie Ihr oder Berbelin, wenn es ganz schlimm kommt.«
Er nahm ihre Hand und sah ihr in die Augen. »Wir müssen das Weite suchen, solange wir eine Galgenfrist haben. Mit den zwei Wachen werde ich schon fertig, da denke ich mir irgendetwas aus, zur Not verpassen wir ihnen einen Schlaftrunk. Wenn sie uns verhaften und einsperren, ist es zu spät!«
»Ich werde Junker Chassim nicht im Stich lassen.«
»Das ist unser Todesurteil.«
Sie schwiegen eine Weile. Schließlich stand Anna auf. »Nehmt Berbelin mit Euch und geht!«
»Was?«, fragte Bruder Thomas völlig entgeistert.
»Geht, solange es möglich ist. Ich will mir nicht auch noch um Euch Sorgen und Vorwürfe machen, weil Ihr bei mir bleibt.«
Damit ließ sie ihn stehen, betrat das Behandlungszimmer mit dem schlafenden Junker und schloss die Tür hinter sich.
Bruder Thomas hörte ein unterdrücktes Schluchzen und drehte sich um. Berbelin stand an der angelehnten Küchentür hinten im Gang und weinte. Als Bruder Thomas sie im schummrigen Morgenlicht sah, wusste er im selben Augenblick, dass sie alles mitangehört hatte. Er ging zu ihr und umarmte sie tröstend. Doch dann hielt er sie auf Armeslänge von sich und sagte: »Hilfst du mir, die Truhe zu vergraben?«
Berbelin nickte mit zusammengepressten Lippen, wischte sich entschlossen die Tränen ab, und zusammen machten sie sich an die Arbeit.
* * *
Anna wachte an Chassims Bett, als dieser die Augen aufschlug. Er bat Anna, ihn zu rasieren, die dieser Bitte
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