Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)
sich einen versteckten Blick zuwarfen.
Es dauerte nicht lang, und Gero von Hochstaden kam wieder herein. Er schleppte einen Sattel mit sich, den er vor Chassims Füßen abstellte, und blieb dann mit verschränkten Armen daneben stehen.
»Kennt Ihr diesen Sattel, Junker Chassim?«, fragte der Erzbischof.
»Natürlich«, sagte Chassim. »Er gehört mir.«
»Ist das der Sattel, dessen Gurt riss, als Ihr beim Turnier in der letzten Tjost gegen meinen Neffen angetreten seid?«
»Ja, das ist er.«
»Dass der Gurt riss, ist also letzten Endes für Eure schwere Verletzung ausschlaggebend gewesen?«
»Ja, ich denke schon.«
Der Erzbischof machte eine kleine Kunstpause, bevor er die Stimme erhob, so dass es alle im Saal hören konnten: »Liebt Ihr Anna Ahrweiler, Junker Chassim?«
Diese Frage des Erzbischofs kam so unerwartet, dass sämtliche Anwesenden unwillkürlich den Atem anhielten.
»Was geht Euch das an?«, fragte Chassim empört.
»Es ist eine ganz einfache Frage, Junker Chassim, und ich erwarte eine einfache Antwort. Liebt Ihr Anna Ahrweiler? Ja oder nein?«
Alle Augen waren auf Junker Chassim gerichtet, der sich kerzengerade hinstellte und verkündete: »Ja, ich liebe sie!«
Das aufgeregte Stimmengewirr, das nun einsetzte, würgte der Erzbischof gleich wieder ab, indem er aufstand, um den Richtertisch herumging und Chassim und Anna musterte. Mit einem Lächeln, das nichts Gutes verhieß.
»Ein Mann von hohem Adel und edlem Geblüt wie Ihr es seid, Junker Chassim, gibt also zu, in eine Weibsperson mit mehr als zweifelhaftem Leumund, niederer Geburt und anrüchiger Herkunft verliebt zu sein.«
Er wandte sich an die Zuschauer. »Das kann und darf nicht sein. Das ist gegen die gottgewollte Ordnung. Aber wie ist so etwas dann möglich? Was sagt uns das? Ich will es euch erklären. Mein Neffe Gero von Hochstaden hat diesen Sattel untersucht und festgestellt, dass der Gurt mit einem scharfen Werkzeug so angeschnitten wurde, dass er bei größerer Belastung reißen musste. Die Medica wurde von mehreren Leuten gesehen, wie sie im Lager der Ritter herumgeschlichen ist. Und wer kann ein Interesse daran haben, dass Junker Chassim vom Pferd fällt und sich dabei verletzt, damit er geheilt und gepflegt werden muss, möglichst bei sich zu Hause, damit man ihm besser alle Hexengetränke einflößen kann, die ihn auf der einen Seite gesund und auf der anderen krank machen? Krank vor Liebe zu dieser kleinen, durchtriebenen Hexe?!«
Der Erzbischof hatte sich in Rage geredet und zeigte nun mit heiligem Furor auf Anna, die von seiner unerwarteten, verqueren Logik und verdrehten Beweisführung genauso bestürzt und verblüfft war wie alle anderen im Saal.
»Ist es nicht so?!«, schrie der Erzbischof sie an. »Gib es zu, Anna Ahrweiler – ist es nicht so?!«
»Nein!«, schrie Anna. »Nein! Das ist eine teuflische Lüge!«
Der Erzbischof hörte nicht auf zu schreien, im Gegenteil, seine Stimme überschlug sich fast vor Empörung: »Die Medica hat Junker Chassims Unfall verursacht und ihn in ihrem Haus verhext, damit er ihr zu Willen sein kann! Damit sie den Koitus mit ihm durchführen kann! Damit er ihr endgültig verfällt! Und immer noch leugnet sie, eine Hexe zu sein! Anna Ahrweiler ist eine ketzerische, notorische Lügnerin mit teuflischen Augen und ebensolcher Gesinnung. Bringt sie in das Verlies unter dem Bergfried und sperrt sie dort ein! Morgen werde ich sie einer peinlichen Befragung unterziehen. Die Streckbank wird ihr schon ein Geständnis entlocken! Schafft sie weg, schafft sie uns aus den Augen!!«
Der tosende Tumult, der nun einsetzte, war unbeschreiblich. Alles schrie, boxte, drängte durcheinander. Sogar die Beisitzer waren vollkommen außer sich vor Entsetzen über Annas ruchloses Handeln, so sehr hatte die Philippika des Erzbischofs alle im Saal mitgerissen und aufgepeitscht.
Nur der Erzbischof selbst stand wie ein Fels in der Brandung. In all dem Chaos warf er dem Burgkaplan einen verschwörerischen Blick zu, der Anna bei allem Entsetzen nicht entging, und genoss sichtlich den kleinen Beifall, den ihm der Kaplan durch zweimaliges Klatschen zollte und wofür sich der Erzbischof mit leichtem Kopfnicken bedankte.
Währenddessen griffen sein Neffe und dessen Männer hart durch, packten die völlig fassungslose Anna und schleppten sie hinaus, sosehr sie und der verzweifelte Chassim sich auch dagegen zu wehren versuchten.
IX
N achtruhe war eingekehrt auf Burg Landskron. Doch Graf Georg fand keinen
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