Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)
ein gottgefälliges Leben zu führen, seine Arbeitskraft als Bauer dem Kloster zur Verfügung zu stellen und für das Liebste, was er verloren hatte, seine Familie, zu beten.
So verging die Zeit bis zu jenem Tag, an dem ein Mitbruder ihm von einer Medica erzählte, die zwei verschiedenfarbige Augen hatte und in Oppenheim für ihre Heilkunst verehrt wurde. Von da an keimte eine aberwitzige Hoffnung in Caspar auf: Sollte Gott ein Wunder bewirkt und seine Anna vor dem Ertrinken gerettet haben, als sie von den Schergen des Erzbischofs gezwungen worden war, in den Fluss zu springen, wie es ihm die Dorfleute erzählt hatten?
Caspar dachte sich eine Nachricht aus und verschlüsselte sie so, dass sie ausschließlich von Anna verstanden und gedeutet werden konnte, und gab sie einem vertrauenswürdigen Mittelsmann, der zuweilen nach Oppenheim reiste und dafür sorgen sollte, dass die Medica die Botschaft auch sicher erhielt.
Als dann Bruder Thomas in der angegebenen Nacht zur rechten Zeit auf dem Friedhof von Kloster Heisterbach eintraf und Caspar erzählte, wie es um Anna stand und dass sie als Hexe angeklagt werden sollte, hatte Caspar darauf gedrängt, sofort nach Oppenheim zu reiten und vor Gericht auszusagen. Indem er die Wahrheit über die Herkunft und Vergangenheit seiner Tochter aufdeckte, wollte er Annas Leben retten.
Caspar und seine Frau waren nicht Annas leibliche Eltern, sondern nur ihre Zieheltern. In Wirklichkeit war Anna die rechtmäßige Erbin Harald von Hochstadens, Konrad von Hochstadens Bruder. Annas leiblicher Vater hatte, kurz nachdem sie zur Welt gekommen war, vor fast siebzehn Jahren das Kreuz genommen und war ins Heilige Land aufgebrochen. Als Adelheid, ihre Mutter, am Schweißfieber erkrankte, gab sie ihre kleine Tochter nicht etwa in die Obhut der Hochstadens, sondern in die Hände ihres Verwalters, der selbst kleine Kinder hatte und dem sie – im Gegensatz zu ihren beiden Schwagern, Konrad und Lothar von Hochstaden – vertraute. Kurz darauf starb Adelheid. Als auch der Verwalter und seine Familie an der schrecklichen Seuche zugrunde gingen, gelangte das Kind nach Ahrweiler zu Caspar und Gret, die es, da sie mit dem Verwalter gut bekannt waren, aus Mitleid bei sich aufnahmen, bis es sieben Jahre alt war. Weil sie wussten, wer Anna wirklich war, und weil sie Angst um ihr Leben hatten, wenn die Geschichte herauskäme, brachten sie die kleine Anna ins Kloster Heisterbach. Von da an wuchs sie als Bruder Marian beim Infirmarius Pater Urban, Caspars Freund, auf, der sie erzog, denn Harald von Hochstaden blieb im Heiligen Land verschollen und kam nie mehr zurück.
Diese Geschichte, ihre Geschichte, hatte Anna erst in der Nacht ihrer Flucht von ihrem Ziehvater erfahren, als sie sich im Geheimgang unter der Stadt begegnet waren. Und damit wendete sich das Blatt, plötzlich hatte sie etwas in der Hand, was der Erzbischof nicht einfach beiseitewischen konnte, sondern sich vor Zeugen anhören musste. Caspar aus Ahrweiler wusste, dass der verstorbene Infirmarius Pater Urban sämtliche Beweise und Urkunden, die Annas Herkunft beglaubigten, aufbewahrt hatte. Und Caspar wusste auch, wo: im Einband des Buches »Dialogus Miraculorum«, dem Werk des früheren Abtes, Caesarius von Heisterbach.
Nach fieberhafter Suche fanden Caspar und Bruder Thomas die Dokumente und machten sich auf nach Oppenheim, wo sie nach einem Gewaltritt schließlich das Haus der Medica erreichten. In der Scheune trafen sie auf Chassims treue Knechte, die dort mit Pferd und Wagen auf ihren Herrn und Anna warteten, um ihnen zur Flucht zu verhelfen. Die Knechte berichteten Caspar und Bruder Thomas von der lebensgefährlichen Lage, in der sich die Medica befand, woraufhin die beiden Ankömmlinge nicht zögerten, sich unverzüglich zu Anna durchzuschlagen, obwohl Bruder Thomas erst einmal bei seiner Flucht aus dem Haus der Medica unter Annas Führung den Geheimgang benutzt und sich den Weg durch das Labyrinth in der Eile nicht genau hatte einprägen können. Von Chassim hatte er zwar eine grobe Wegzeichnung zum Bergfried von Landskron erhalten, dennoch war das Unterfangen nicht ohne Gefahr.
Im Geheimgang waren sie dann jedoch auf Anna, Chassim und Berbelin getroffen. Sobald sich die erste Wiedersehensfreude gelegt hatte, waren sie zu fünft, so schnell es mit dem verletzten Chassim möglich war, durch den Geheimgang und das Verlies zurück zum Palas geeilt, wo sie ungesehen bis zum Schlafgemach des Grafen vordrangen, der in seinem
Weitere Kostenlose Bücher