Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)
stand immer noch unschlüssig mit der Schaufel in der Hand da.
»Ihr wisst auf alles eine Antwort, oder?«
»Nun, ich bin wie alle Menschen dem Willen Jahwes, unseres Gottes, unterworfen. Aber mein Gott hat mir auch Verstand gegeben, und den versuche ich eben zu meinem Vorteil zu gebrauchen.«
Er kratzte sich nachdenklich am Bart. »Und jetzt hat mich Gott auf eine Probe gestellt, weil ich auf die dumme Idee gekommen bin, den Leichnam meines Dieners mitzunehmen. Das war töricht. Natürlich hätte er eine Beerdigung in geweihter Erde verdient, wie es sein Glaube verlangt. Aber es ist wohl besser …«, sagte er und ging Richtung Waldrand, wo eine schattige Stelle war, von der aus man weit in die hügelige Landschaft blicken konnte, »… wenn wir ihn jetzt und hier begraben.«
Anna fragte nichts mehr, und bald waren sie in ihre schweißtreibende Arbeit vertieft, ein Loch zu graben, das groß genug für den Leichnam des Dieners war.
»Das müsste reichen«, sagte Aaron schließlich und wischte sich den Schweiß mit einem Tuch aus der Stirn. Sein Verband um den Kopf war erneut blutig geworden. »Holen wir ihn.«
»Ihr blutet wieder aus Eurer Platzwunde!«, sagte Anna.
»Dafür ist jetzt keine Zeit. Ich werde das zu Hause versorgen«, erwiderte Aaron.
Sie zogen die in eine Decke eingewickelte Leiche aus dem Wagen, trugen sie zur Grube hinüber, legten sie so sanft es ging hinein und schaufelten wieder Erde darauf.
Als sie fertig waren, bedeckte ein kleiner Grabhügel die Stelle. Anna hatte aus zwei Ästen, die sie mit einem Stück Schnur zusammengebunden hatte, ein schlichtes, kleines Kreuz gebastelt, das sie am Kopfende in die Erde steckte.
Stumm standen sie nach getaner Arbeit am Fuß des Grabes, und Aaron richtete ein paar Worte an die arme Seele des Verstorbenen. »Nikolas, du warst mir ein treuer Diener und Leibwächter. Und du hast mich unter Einsatz deines Lebens verteidigt, so wie du es versprochen hattest. Wir haben hier keinen Verwandten oder Freund, der für dich das Kaddisch sprechen kann, aber ich habe neben mir einen christlichen jungen Mann. Er wird für dich ein Gebet sprechen. Gott sei deiner Seele gnädig.«
Aaron trat einen Schritt zurück und sah Anna erwartungsvoll an. Anna räusperte sich und fing an, mit klarer heller Stimme das Vaterunser auf Latein zu singen, so wie sie es im Chor der Mönche von Kloster Heisterbach gelernt hatte.
»Pater noster, qui es in caelis:
sanctificetur nomen tuum.
Adveniat regnum tuum.
Fiat voluntas tua,
sicut in caelo, et in terra.
Panem nostrum cotidianum da nobis hodie.
Et dimitte nobis debita nostra,
sicut et nos dimittimus debitoribus nostris.
Et ne nos inducas in tentationem.
Sed libera nos a malo.
Amen.«
Aaron war sichtlich beeindruckt von Annas engelsgleicher Stimme und der Inbrunst, mit der sie betete, als er in das »Amen« mit einstimmte. Anna fand, dass er sie irgendwie von der Seite verstohlen musterte, aber sie schlug schließlich das Kreuzeszeichen, und Aaron packte Schaufel und Spitzhacke wieder in den seitlichen Holzverschlag des Planwagens, ohne etwas zu sagen. Dann kletterten sie beide auf den Kutschbock. Bevor Aaron losfuhr, drehte er sich noch einmal zu ihr um: »Sag mal – wie alt bist du eigentlich?«
Anna antwortete mit hochgerecktem Kinn: »Ich bin weit über sechzehn.«
»Wie weit?«, fragte er und musste ein Schmunzeln unterdrücken.
»Fast zehn Wochen. Warum?«
Aaron zuckte mit den Schultern.
»Nur so«, sagte er und gab den Pferden mit Zügeln und Zungenschnalzen das Zeichen zum Losfahren.
II
N achdem sie eine Weile schweigend dahingefahren waren, fing Aaron an zu sprechen.
»Ich mache dir einen Vorschlag, Bruder Marian.« Er sprach die Worte »Bruder Marian« mit einem leicht spöttischen Unterton aus. »Du kommst mit mir. Ich stehe tief in deiner Schuld. Ich habe ein Haus außerhalb der Stadt. Ein Privileg des Kaisers für meine Verdienste. Auch wenn Friedrich II. hier nicht allzu viel zu sagen hat, weil er sich nur in Apulien aufhält, wird es respektiert. Außerdem stehe ich unter dem Schutz des Grafen von Landskron.« Er seufzte. »Wie lange das so sein wird, steht in den Sternen. Aber wenn du willst, kannst du erst einmal bei uns wohnen, das Haus ist groß genug. Mit uns meine ich meine Schwester, die mir bei den Patienten hilft und meine Köchin und Haushälterin ist, meine Dienstmagd und mich. Und wenn du wieder genesen bist von deiner Hautkrankheit, kannst du mir vielleicht ein wenig zur Hand gehen. Ich habe
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