Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)
Verdächtigungen wurden noch verstärkt durch Leute wie den Burgkaplan, der die Gerüchteküche nach Kräften schürte, wie die Gräfin zu berichten wusste.
Auch bei ihren stärksten Konkurrenten, den Badern und den auf Märkten herumziehenden Wunderheilern, war Anna alles andere als angesehen. Nach ihrem erfolglosen Vorstoß beim Grafen, die unliebsame Konkurrenz auszuschalten, warteten sie nur darauf, dass Anna einen Fehler machte, um ihr daraus einen Strick drehen zu können. Sie hatte ihnen einige gutbetuchte Kunden abspenstig gemacht, weil sich in deren Kreisen herumgesprochen hatte, dass ihre Heilmethoden, ähnlich wie die des Medicus, recht wirksam und weniger schmerzhaft waren.
In der ersten Zeit bestürmten die Patienten Anna natürlich mit Fragen nach dem Verbleib des Medicus. Sie hatte es nicht anders erwartet und erzählte jedem, der es wissen wollte, dass es der Medicus aus freien Stücken, der eigenen Gesundheit wegen, der die Kälte des Nordens nicht länger zuträglich war, vorgezogen hatte, wärmere südliche Gefilde aufzusuchen.
Der Exodus der Juden von Oppenheim ging nach der von Graf Landskron vorhergesagten Auswanderungsverfügung des Erzbischofs rasch und zügig vonstatten. Wagenkolonnen mit jüdischen Familien zogen mit ihrem beweglichen Hab und Gut aus der Stadt in Richtung Osten, so dass das jüdische Viertel schnell verwaiste.
Anna hatte erfahren, dass die meisten Juden ihre Häuser zu einem Spottpreis verkaufen mussten, weil sie niemanden fanden, der bereit war, den wahren Wert für Haus und Hof zu bezahlen. Viele gutbetuchte Bürger bereicherten sich so am Besitz der jüdischen Gemeinde und verfügten bald über noch mehr Grund und Boden, als sie ohnehin schon besaßen.
Die Pläne des Erzbischofs schienen voll und ganz aufzugehen. Anna war traurig und empört darüber. Und sie befürchtete, selbst bald auf einer schwarzen Liste zu stehen, weil sie gegen den Ruf, eine Hexerin und Wunderheilerin zu sein, bei den einfachen Leuten nichts ausrichten konnte.
Seit Aaron weggezogen war, hatte Anna überdies das unbestimmte Gefühl, verfolgt und beobachtet zu werden. Wenn sie ihre üblichen Hausbesuche in der Stadt machte und aus dem Heim eines Patienten kam, verschwand jedes Mal auf der anderen Straßenseite eine Gestalt, die im Schatten eines Hauseingangs gewartet zu haben schien. Sie konnte nicht erkennen, wer es war, der Verfolger stellte sich sehr geschickt an. Einmal wurde es Anna zu bunt und sie rannte ihm nach. Doch ihr Beschatter hatte wohl geahnt, was sie vorhatte, und verdrückte sich rasch im verwinkelten Gewirr der Gassen. Anna stand schließlich keuchend auf einem kleinen Platz, von dem mehrere Gassen abgingen, und konnte gerade noch den Zipfel einer schwarzen Kutte ausmachen, der um eine Ecke flatterte. Als sie ihm nachsetzte, war er schon hinter der nächsten Biegung verschwunden. Hatte sie sich das alles etwa nur eingebildet? Kopfschüttelnd machte sie kehrt und dachte sich, dass sie ihn bei nächster Gelegenheit schon noch erwischen würde. Anna beschloss, in Zukunft noch vorsichtiger zu sein. Jedenfalls war sie sich sicher, dass der Beschatter nicht Gero von Hochstaden war, der sie beim Einzug des Königs über den Haufen geritten hatte. Seitdem hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Wahrscheinlich gehörte er zum königlichen Tross und war schon vor Wochen mit ihm weitergezogen. Sie war schon so oft bei Ottgild und ihrem Kind gewesen, dass sie Gero, wäre er noch auf Landskron, längst hätte über den Weg laufen müssen, dessen war sie sich sicher. Und außerdem glaubte sie nicht, dass er sich nach so langer Zeit noch an sie erinnern würde, allein schon deshalb, weil Bruder Marian für ihn ertrunken und damit für alle Zeiten aus dem Gedächtnis gestrichen war.
Schuldbewusst musste sie wieder an ihre Eltern denken. Was wohl mit ihnen geschehen war? Aber was konnte sie unternehmen, um etwas über ihr Schicksal in Erfahrung zu bringen?
Abrupt wurde Anna aus ihren Gedanken gerissen, als ein verschwitzter und aufgeregter Junge, er mochte vierzehn Jahre alt sein, aus einer Seitengasse auf sie zugerannt kam und bei ihrem Anblick schrie: »Medica, bitte! Kommt schnell! Ihr müsst helfen!«
Bevor Anna etwas erwidern konnte, nahm er sie bei der Hand und zog sie mit sich. Sie folgte ihm in einen Innenhof mit einem Ziehbrunnen. Eine größere Menschenmenge hatte sich dort um eine weinende junge Frau und einen verzweifelten, tropfnassen Mann versammelt, vor denen ein Kind von etwa
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