Das Geheimnis der Mondsänger
versuchte ich mich zu wehren, aber ich wurde in eine kleine dunkle Kiste geworfen, und dann schlug ein Deckel über mir zu. Zwei Löcher an einer Seite bildeten winzige Lichtaugen und gaben etwas Luft. Das Stroh roch abscheulich, denn ich war nicht der erste Bewohner der Kiste. Und es roch nicht nur nach anderen Körpern, sondern nach Haß, Furcht und Verzweiflung.
Es gab kein Wasser. Manchmal träumte ich von den Flußläufen, die ich durchwatet hatte. Und dann hatte ich den Eindruck, daß überhaupt alles ein Traum gewesen war und daß es nie etwas anderes als die stinkende Kiste gegeben hatte.
Jemand öffnete den Deckel. Luft und Licht drangen zu mir herein. Ich wollte den Kopf heben, doch jemand drückte mich mit einem schweren Gegenstand zu Boden.
»Das willst du meinem Herrn anbieten? Das Tier ist fast tot!«
»Aber es ist ein Barsk!«
»Ein Barsk, der in ein paar Stunden nicht mehr lebt …«
Der Druck, der mich zu Boden preßte, war fort, und einen Moment später schlug der Deckel zu. Die Worte klangen immer noch in meinen Ohren: »Das Tier ist fast tot!«
Ein Barsk war ein Tier. Aber ich war kein Tier, ich war ein Mensch – ein Mensch! Sie mußten es erfahren und mich freilassen. Ich war ein Mensch! Der schwache Lebensfunke flackerte wieder auf. Ich versuchte meinen schwachen Rücken gegen den Kistendeckel zu stemmen – vergebens.
»Ein Mensch!« Nur ein schwaches Wimmern entrang sich meinen Lippen. Aber meine Gedanken schrien es der Welt zu: »Hier stirbt ein Mensch – kein Tier. Ein Mensch!«
Und blitzartig drang ein klarer, machtvoller Gedanke in mein Gehirn. Ich klammerte mich daran wie an ein Halteseil.
»Hilfe – für einen sterbenden Menschen …«
»Wo?« Die Antwort war so deutlich, daß sie meine Energie anstachelte.
»In einer Kiste – in einem Barsk-Körper – ein Mensch, kein Tier …« Ich hielt mich an dem Fremden fest, aber es war, als müßte ich mit geölten Fingern einen dünnen Faden festhalten.
»Du mußt weiterdenken!« befahl der andere. »Ich brauche einen Richtungshinweis.«
»Mensch – kein Tier …« Mit letzter Anstrengung dachte ich weiter. »Mensch – kein Barsk – in – ich weiß nicht, wo – wahrscheinlich in einer Stadt.«
Konnte es Yrjar sein?
Ich konnte kaum noch atmen.
»Mensch – ich bin ein Mensch …«
Dann war mein Kampf zu Ende. Um mich wurde es wieder dunkel.
Weit weg ein Lichtschimmer und Stimmen, die nichts bedeuteten. Ganz schwach konnte ich ein Gesicht erkennen.
»Hör zu«, drang ein Befehl in mein Gehirn. »Du mußt mir helfen. Ich habe gesagt, daß du zu meinem kleinen Volk gehörst, daß du ein dressiertes Tier bist. Kannst du es beweisen?«
Beweisen? Ich konnte überhaupt nichts beweisen, nicht einmal, daß ich ein Mensch war, der auf vier Pfoten dahinlief.
Wasser lief über meine geschwollene Zunge und tropfte zu Boden. Erst beim dritten Versuch konnte ich schlucken. Dann nahmen zwei Hände meinen Kopf, die Augen bohrten sich in meine.
»Zeig, was du kannst, Jorth!«
Das hatte einmal etwas bedeutet, aber ich konnte mich nicht genau erinnern. Jemand hatte mich bei diesem Namen genannt und …
Ich senkte den Kopf und versuchte die Vorderpfoten zu heben.
»Mein Tier …«
»Das ist kein Beweis, Freesh.«
»Ich gebe dir, was du für ihn bezahlt hast. Oder soll ich den Straßenwächter holen?«
Immer noch hielten die Hände meinen Kopf. Und wieder flößte man mir Wasser ein.
»Sei stark, wir gehen bald.«
Die Stimmen schwankten. Jemand trug mich ins grelle Licht hinaus, und ich wimmerte und schloß die Augen. Der Mann, der mich getragen hatte, legte mich auf eine weiche Matte, und ich blieb hilflos liegen. Die Matte schaukelte. Ich hörte das Ächzen von Rädern. Sie knirschten über Steinpflaster.
Die Luft wurde besser, und ich hatte das Gefühl, daß wir uns nicht mehr in der Stadt befanden. Dann hielt der Wagen an, und jemand kam vom Fahrersitz zu mir nach hinten. Mein Kopf wurde gehoben, und Wasser netzte meine Zunge. Es hatte einen scharfen Beigeschmack. Ich öffnete die Augen.
»Maelen …« Ich dachte diesen Namen. Aber das war nicht die Thassa, die mich in dieses verzweifelte Abenteuer gestürzt hatte, sondern der Mann, der am Markt mit ihr zusammen gewesen war.
»Ich bin Malec«, erwiderte er. »Schlaf jetzt und fürchte nichts. Wir haben ein wenig Zeit gewonnen.«
Die Bedeutung seiner Worte drang nicht bis in mein Inneres. Ich schlief ein, tief und fest.
Als ich wieder erwachte, brannte ein Feuer in
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