Das Geheimnis der Mondsänger
Licht und Wärme gaben. Dann reichte er ihr ein Horn, in das er aus einer besonderen Flasche etwas goß. Sie trank langsam, Schluck für Schluck.
»Die Zeit vergeht rasch, Krip Vorlund«, sagte sie schließlich. »Ich möchte mich noch vor Sonnenaufgang auf den Weg nach Yrjar machen.«
13
Es war einer der strahlenden Morgen, an denen Mensch und Tiere sich des Lebens freuen. Die Sonne schien, und eine kühle Brise wehte. Noch bevor das Sonnenlicht unseren Lagerplatz erreichte, bestieg Maelen das Reitkasi und wandte sich nach Westen. Wir sahen ihr nach, bis sie hinter den Büschen verschwand, und dann begann Malec die Käfige zu öffnen.
Einige der Tiere schliefen noch, zu kleinen Pelzbällen zusammengerollt. Andere blinzelten und streckten sich, aber nur wenige kamen ins Freie. Simmle stieß ihre Käfigtür mit der Schulter auf, kläffte zur Begrüßung und leckte mir mit ihrer rauhen Zunge zärtlich das Fell. Aber Malec legte ihr die Hand auf den Kopf, und sofort sah sie ihn aufmerksam an. Sie warf forschende Blicke nach rechts und links und trottete dann in die Büsche.
»Was ist?« fragte ich den Thassa.
»Maelen sagte, daß Männer in den Bergen seien. Vielleicht sind es nicht nur Eindringlinge. Es könnten auch die Geächteten sein.«
»Und du glaubst, daß sie angreifen würden?«
»Sie brauchen Nahrungsmittel und andere Dinge, wenn sie überleben wollen. Vorräte können sie sich nur mit Gewalt aneignen. Wir haben nicht viel, doch verzweifelte Menschen kämpfen auch um Krumen.«
»Die Tiere …«
»Die meisten sind diesen Leuten nicht gut genug zum Essen. Aber sie würden sie doch töten – schon aus Freude am Töten. Wenn es Schwierigkeiten gibt, kann das kleine Volk fliehen und sich in der Umgebung verstecken.«
»Und du?«
Er traf Vorbereitungen, als erwarte er in Bälde einen Überfall. Jetzt lächelte er.
»Ich kenne das Land ebenfalls so gut wie kaum ein anderer. Wenn unsere Wachtposten das Warnsignal geben, fliehen wir. Die Verbrecher werden ein leeres Camp vorfinden.«
Simmle war wohl so ein Wachtposten …
»Willst du auch wachen?«
Weshalb nicht? Wie Simmle lief ich zwischen den Büschen hin und her und schnüffelte aufmerksam. Wir hatten vier Wagen – den kleinen, leichten Karren, den Maelen genommen hatte, und drei schwere. Malec hatte zwar die Käfige kreisförmig um das Lagerfeuer gestellt, aber die übrigen Geräte waren in den Wagen geblieben.
Ich lief ein Stück höher. Wir waren in den Vorbergen. Kein Weg führte zu dem Platz, den Malec ausgewählt hatte, doch die Wagenspuren waren weithin sichtbar.
Von einer Hügelkuppe aus betrachtete ich die Landschaft. Alles lag in schläfriger Stille da. Der Wind hatte sich gelegt, und es drangen wenige Gerüche bis zu mir. Die Sonne stand an einem klaren Himmel und wärmte das Herbstland. Malec tauchte aus einem der Wagen auf, eine Stange mit zwei Eimern über den Schultern.
Und dann hörte ich Simmies erregtes Bellen. Ich kroch aus meiner Deckung. Ein Windstoß von weiter oben warnte mich. Ich war mit einem Sprung in einem Dickicht weiter unten. Außer Simmies Warnruf hatte ich bisher nichts gehört. Ich kroch auf das Lager zu und versteckte mich hinter einem der Wagen.
Malec kam vom Bach heraufgewankt. Seine Eimer waren fort. Er hielt die Hände gegen die Brust gepreßt. Als er das Lager erreichte, fiel er plötzlich nach vorn. Zwischen seinen Schultern steckte der Bolzen einer Armbrust. Er atmete heftig und grub die Hände in den Boden, doch nach ein paar Sekunden war alles vorbei. Sein Gesicht nahm einen friedlichen, verträumten Ausdruck an.
Die Tiere in den Käfigen hatten dem Todeskampf zugesehen. Jetzt stoben sie aus den Käfigen, schnell und leise, und verteilten sich in den Büschen. Für das menschliche Auge waren sie unsichtbar.
Ich erreichte das Ende der Wagen. Noch als ich zögerte, was ich nun tun sollte, jagte ein dunkler Schatten an mir vorbei. Simmle! Was hatte sie vor?
Sie blieb nicht bei Malec stehen, sondern rannte in Richtung des Flusses weiter. Ich vernahm jetzt vorsichtige Schritte, die vom Wasser her kamen, und folgte Simmle.
Und dann hörte ich einen Aufschrei. Als ich Simmle erreichte, hatte sie sich bereits in den Mann verbissen und ließ ihn nicht mehr los. Ich sprang ihr zu Hilfe. In diesem Moment war ich mehr Barsk als Mensch, denn ein glühender Zorn kochte in mir und trieb mich voran.
Jemand stieß einen Ruf aus. Ein Pfeil schwirrte so dicht an meiner Schulter vorbei, daß ich den Wind
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