Das Geheimnis der Monduhr: Roman (German Edition)
rechtzeitig hin, oder?«
»Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Ich will die Hoffnung noch nicht aufgeben. Du hast selbst gesagt, wie schwierig es ist, den Weg zu ändern. Ich sollte Libby bekommen, warum sollte das jetzt nicht mehr möglich sein?«
Trauer und Verzweiflung waren verflogen, als Holly begriffen hatte, dass die Zeit noch nicht gänzlich abgelaufen war. Erst als sie Jocelyns entsetzte Miene sah, wurde ihr wieder bewusst, welchen Preis sie bezahlen musste, wenn sie ihren Plan in die Tat umsetzte. Es ging um ihr Leben, aber es betraf nicht nur sie allein. Auch Tom, Jocelyn, Toms Eltern, sie alle wären betroffen. Sie müssten mit dem Leid fertigwerden, das Hollys Tod für sie bedeuten würde. Eine Ahnung davon hatte Holly in ihren Zukunftsvisionen
bekommen. Dann jedoch erinnerte sie sich, in welchem Zustand sie noch vor wenigen Stunden gewesen war. Das Leid, das ihr Tod verursachen würde, war nichts im Vergleich zu dem Schmerz, den der Verlust von Libby für sie bedeutet hatte, und sie war wild entschlossen, es nicht so weit kommen zu lassen.
»Holly, hör mir zu.« Jocelyn beugte sich vor und drückte Hollys Hand so fest, dass es wehtat. »Überlege dir gut, was du tust. Was du den Menschen antust, die dich lieben. Was wird aus mir? Ich will dich nicht verlieren.« Jocelyn weinte.
Holly hatte das Gefühl, als packte sie eine kalte Hand. »Wenn ich Libby nicht retten kann, bin ich sowieso verloren. Wenn ich überlebe und Libby nicht, ist auch mein Leben vorbei.«
Die Zeit verging unbarmherzig schnell, und die Hoffnung, die Holly am Morgen geschöpft hatte, rann ihr wie Sand durch die Finger. Voller Zuversicht hatte sie ihren Koffer gepackt, sich angezogen und wieder umgezogen, während Jocelyn beide Telefone überwachte, über die Holly ein Flugticket aufzutreiben versuchte. Holly hatte sämtliche Pferde scheu gemacht und schließlich mehrere Reisebüros gefunden, die sich nach Kräften bemühen wollten, einen freien Platz im nächsten Flieger ausfindig zu machen. Bisher hatte noch nichts gefruchtet.
Sogar Tom zu erreichen, erwies sich als unmöglich. Sie hatte in seinem Hotel eine Nachricht hinterlassen, aber bisher hatte er noch nicht zurückgerufen. Seine Kollegen in London waren keine große Hilfe, alle machten vage Versprechungen;
im Weihnachtstrubel hatte jedoch keiner die Zeit, um Holly ein Ticket nach Singapur zu verschaffen.
Holly hatte schon rote Ohren vom stundenlangen Telefonieren, jede Minute war kostbar. »Ich geb’s nicht auf. Ich muss die Dinge wieder in Ordnung bringen«, beschwor sie Jocelyn zum hundertsten Mal. Sogar die zerbrochene Porzellankatze, die hinter dem Sofa Staub angesetzt hatte, machte sie wieder heil. Sorgfältig klebte sie die Teile zusammen.
»Soll ich vielleicht noch Billy Bescheid sagen, damit er die Türen im Wintergarten versetzt?«, erkundigte Jocelyn sich fassungslos. »Es lässt sich nicht alles wiedergutmachen. Vielleicht solltest du endlich einsehen, dass es Dinge gibt, die sich nicht mehr ändern lassen.«
Holly schüttelte den Kopf, aber als sie aus dem Fenster sah, begann es schon zu dämmern, und mit dem Licht schwand auch ihre Zuversicht. Sie saßen am Küchentisch, zwischen den Händen eine Tasse mit dampfendem Tee. Während Hollys Stimmung allmählich in den Keller sank, war Jocelyn bemüht, ihre Erleichterung nicht zu zeigen.
»Du hast getan, was du konntest, Holly. Ich weiß, dass es schwer für dich wird, und du wirst dir Vorwürfe machen, aber wenigstens weißt du, dass du bereit warst, für Libby auf alles zu verzichten.«
»Ich war so sicher, dass mir noch genügend Zeit bleibt«, flüsterte Holly. Sie setzte ihre Tasse ab, stand auf und starrte hinaus in die Dunkelheit, auf die Monduhr. »Ich habe mich so lange gegen sie gewehrt, und jetzt, wo ich bereit bin nachzugeben, lässt mich das Miststück hängen.«
»Du wirst es schaffen und einen neuen Weg finden.«
Holly machte ein paar Schritte zur Tür, am liebsten wäre sie in den Regen hinausgerannt und hätte die Monduhr wachgerüttelt. Aber sie blieb vor dem Glasfenster der Tür stehen, an dem die Regentropfen herunterrannen. »Ich war so sicher, dass ich wieder auf den alten Weg zurückkomme, der zu Libby führt.« Mit dem Finger verfolgte sie einen kleinen Tropfen, der die Scheibe hinunterlief und sich nahtlos in die Spur eines anderen Tropfens fädelte. »Verzeih mir, Libby«, flüsterte Holly. Sie schauderte bis in die Fingerspitze, die auf der Scheibe verharrte. Auf der anderen
Weitere Kostenlose Bücher