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Das Geheimnis der Monduhr: Roman (German Edition)

Das Geheimnis der Monduhr: Roman (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Monduhr: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Brooke
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das Telefon beiseite und griff nach ihrem Skizzenblock. Sie hatte sich vorgenommen, die beiden von ihr favorisierten Entwürfe auszuarbeiten.
    Als sie die erste Zeichnung aufklappte, auf der die Mutter das Kind im Arm hielt, fiel ihr Blick als Erstes auf das Baby. Die Zeichnung war zum Teil nur angedeutet, aber als sie mit dem Finger die Linien des Kindergesichtes nachfuhr, fiel ihr das Baby in ihrer nächtlichen Halluzination wieder ein. Libby. Ihr Herz schlug höher, als sie sich an den Moment erinnerte, in dem sie Libby in die Augen geblickt und sofort eine innere Bindung gespürt hatte. War das vielleicht der berühmte Mutterinstinkt, fragte sie sich, oder wollte sie nur Toms Wunschvorstellungen entsprechen?
    Sie betrachtete die Figur der Mutter. Die Pose schien ihr plötzlich völlig missglückt. Die Figur auf dem Skizzenblock hielt das Kind wie mit spitzen Fingern, als wäre es eine Schachtel voller Spinnen, die jeden Augenblick
über ihren Arm krabbeln könnten. Ohne lange nachzudenken machte Holly einen energischen Strich durch die Zeichnung. Dann nahm sie sich den zweiten Entwurf vor, dessen Grundidee sie am meisten überzeugt hatte. Nach wie vor gefiel ihr die spiralförmige Bewegung der Mutter, die das Kind im Kreis herumwirbelte, aber auch diese Pose hielt sie für missglückt, weil die Mutter ebenso gut ihre Handtasche hätte herumwirbeln können. Auch diese Zeichnung strich sie durch.
    Mit flauem Gefühl im Magen erkannte Holly, dass sie jetzt unter Druck stand und sich die nächsten beiden Tage anstrengen musste, um rechtzeitig ein Modell präsentieren zu können.
     
    Die Fahrt nach London riss Holly aus dem Trott des beschaulichen Landlebens, an das sie sich allmählich gewöhnt hatte. Sie stieg in der nächstgelegenen Stadt in den Frühzug, wo sie prompt den Kampf um den letzten Sitzplatz gegen einen geübten Pendler verlor.
    Holly war mit Mrs Bronson in der Galerie verabredet, in der sie ihre Skulpturen ausstellte und verkaufte. Die Galerie war nicht groß, doch für Holly genau richtig, vor allem wegen ihrer erstklassigen Lage und gehobenen Kundschaft, aber auch weil sie sich mit dem Eigentümer Sam Peterson gut verstand. Sam hatte ihr am Anfang ihrer Karriere kräftig unter die Arme gegriffen und deshalb einen nicht geringen Anteil an ihrem künstlerischen Erfolg.
    Holly hatte Sam durch einen ihrer zahlreichen Nebenjobs kennengelernt, die sie nach der Kunsthochschule angenommen hatte. Sie arbeitete damals bei einer Agentur
für Haustierpflege, führte Hunde aus, versorgte Kaninchen, und fütterte in Sams Fall seine Katzen, wenn er wieder mit seinem Lebensgefährten James in den Tropen unterwegs war. Sam hatte Gefallen an ihrer Bildhauerei gefunden und Holly eines Tages angeboten, ihre Werke in seiner Galerie auszustellen.
    Der Weg zur Galerie war nicht weit, ein paar Stationen mit der U-Bahn, dann noch ein paar Schritte durch das Menschengewühl. Das hektische Treiben ließ sie richtig aufleben. Sie hatte ein apartes Tunikakleid im Stil der fünfziger Jahre angezogen, mit passender Jacke. Die blassblaue Farbe brachte ihr langes blondes Haar, das sie mit einem farblich passenden Haarband aus dem Gesicht gekämmt hatte, vorteilhaft zur Geltung. Es war schon eine Weile her, dass Holly etwas anderes als Jeans und T-Shirt getragen hatte, und das Bewusstsein, gut angezogen zu sein, gab ihr wieder das Gefühl, ein Teil dieser Menge zu sein.
    Die neue Energie war auch dringend nötig, weil sie sich völlig verausgabt hatte. Sie hatte ohne Unterbrechung an ihren Modellen gearbeitet, bis in die frühen Morgenstunden. Nur der abnehmende Mond hatte ihr Gesellschaft geleistet, der wie ein lauerndes Ungeheuer durchs Küchenfenster gespäht und ihr misstrauisch über die Schulter gesehen hatte.
    Die Einzelheiten ihrer nächtlichen Vision hatte sie inzwischen erfolgreich verdrängt. Bis auf das Bild von Libby, das ihr nicht aus dem Sinn ging und das ihren Entwürfen neues Leben einhauchte. Schließlich fand sie doch eine innere Beziehung zu dem Werk, an dem sie arbeitete. Die Kehrseite war, dass sie auch eine innere Beziehung zu
Libby entwickelt hatte. Mochte sie auch eine Erfindung ihrer Fantasie sein, so war sie doch das erste Baby, vor dem Holly sich nicht fürchtete, das erste Baby, bei dem sie das Bedürfnis gespürt hatte, es in den Arm zu nehmen. Libby hatte sich in ihr Herz geschlichen, und manchmal wünschte Holly sich fast, dass sie aus Fleisch und Blut wäre.
     
    Die Messingglocke über der Tür

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