Das Geheimnis der Monduhr: Roman (German Edition)
kündigte Hollys Ankunft in der Galerie an. Der weite Raum, der sie empfing, wirkte hell und modern. Weiße Wände warfen das Tageslicht zurück, das durch das große Schaufenster der Galerie flutete, während sorgfältig platzierte Strahler auf einzelne farbenfrohe Objekte gerichtet waren, um Kunden anzulocken.
Die Dame an der Rezeption winkte ihr zu und griff nach dem Telefon, offensichtlich um Sam zu benachrichtigen, dass Holly eingetroffen war. Holly nutzte die Wartezeit, ihre ausgestellten Werke einer raschen Bestandsaufnahme zu unterziehen und die Konkurrenz einzuschätzen. Holly verkaufte in der Galerie vor allem kleinere Objekte; figürliche Darstellungen, aber auch ungegenständliche Plastiken, die jedoch alle Hollys unverwechselbare Handschrift – die Kombination verschiedener Materialien und Farben – trugen. Ihre Arbeit schien zunehmend Geld in die Kasse zu bringen und ihr und Tom den einen oder anderen Luxus zu ermöglichen. Ein wenig enttäuscht bemerkte sie, dass nur wenige Skulpturen von ihr im Eingangsbereich der Galerie ausgestellt waren.
»Suchst du was Bestimmtes?«, ließ sich hinter ihrem Rücken eine leise Stimme vernehmen. Holly drehte sich um, und ein rundlicher Mann mittleren Alters, dessen
Vorliebe für Tweed nicht zu übersehen war, hieß sie willkommen.
»Hallo Sam«, strahlte Holly und küsste ihren alten Freund auf beide Wangen. »Ich habe nur nach Arbeiten der vielversprechenden Künstlerin Holly Corrigan Ausschau gehalten, aber ich kann beim besten Willen nicht die Auswahl entdecken, die ich mir erhofft hatte. Hast du sie etwa irgendwo in eine dunkle Ecke verbannt?«
»Oh, Holly, Holly, Holly. Was seid ihr Landeier doch für misstrauische Geschöpfe. Du glaubst doch wohl nicht, dass ich deine Werke von hier verbanne, nur weil du deine Stilettos gegen Gummistiefel getauscht hast?«
»Na ja …« Holly schämte sich, dass sie Sam unterstellt hatte, ihre Interessen nicht zu wahren.
»Da vorne steht ein Objekt von dir«, deutete Sam herablassend zum Fenster. Holly schwankte, ob seine Haltung eher an einen Lehrer oder an einen Flugbegleiter erinnerte.
»Und eins dort auf der rechten Seite, und zwei weitere links, da und da.«
Flugbegleiter entschied Holly amüsiert. »Und der Rest?«
»V-E-R-K-A-U-F-T. Verkauft!«
Holly schnappte nach Luft. »Alle?«
»Alle«, versicherte Sam. »Die Rezession scheint abzuflauen. Hier macht sich das zuerst bemerkbar.«
Holly nahm seine Hände und vollführte mitten in der Galerie einen kleinen Freudentanz.
»Bravo, Sam!«
»Bravo, Holly!«, korrigierte Sam. Er stutzte und musterte Hollys Gesicht. »Ist das etwa ein blaues Auge, das sich
da unter deinem Make-up versteckt? Hat dein Göttergatte dich etwa geschlagen?«
»Warum sagt ihr das alle?«, empörte sich Holly. »Natürlich nicht. Ich bin im Garten gestolpert, weiter nichts.«
»Hm«, brummte Sam. »Na, du kannst mir später von deinem Landleben berichten. Erst müssen wir noch mit deiner Lieblingskundin ins Geschäft kommen«, flüsterte er.
»Oh Gott, ist sie schon hier?« Holly brach allein bei dem Gedanken an die Begegnung der kalte Schweiß aus. »Ist Bronson junior auch dabei?«
»Zum Glück nicht«, versicherte Sam, der Hollys Abneigung teilte.
Holly meinte natürlich Mrs Bronsons Sprössling oder, was ihrer Ansicht nach eher zutraf, ihr neuestes Accessoire. Holly war gewiss keine Expertin in Sachen Mutterschaft, aber Mrs Bronson kam ihr immer wie ein großes Kind vor, das mit einem Katzenbaby spielte. Es hätte sie nicht gewundert, wenn ihre Kundin auftauchte und der bedauernswerte Kleine aus ihrer überdimensionalen Handtasche lugte.
»Da entlang und dann die Treppe rauf«, wies ihr Sam den Weg in sein Büro.
Die Besprechung mit Mrs Bronson verlief besser als erwartet. Holly konnte mit zwei detailliert ausgearbeiteten Skizzen aufwarten, von denen aber nur eine sie wirklich überzeugte. Glücklicherweise war es diejenige, für die sich Mrs Bronsons entschied. Der Entwurf zeigte nicht nur die Mutter mit dem Kind im Arm, sondern darunter noch
eine Reihe anderer Figuren, die die vorausgegangenen Generationen symbolisierten und sich spiralförmig aus dem schwarzen Sockel zu den beiden weißen Figuren emporwanden. Mrs Bronson wollte den Vertrag erst unterzeichnen, wenn Holly noch ein verkleinertes Modell angefertigt hatte, aber die größte Hürde war genommen. Sie hatte einen Entwurf geliefert, mit dem sie selbst zufrieden sein konnte, vor allem wenn man bedachte, wie
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