Das Geheimnis der Monduhr: Roman (German Edition)
in Hollys Küche, in der es köstlich nach frisch gebackenen Muffins roch, die Jocelyn mitgebracht hatte.
Holly massierte sich den Nacken, um die Morgenmüdigkeit zu vertreiben. Der Sonntag war der einzige Tag in der Woche, an dem sie sich gestattete auszuschlafen. Erst im letzten Moment hatte sie sich angezogen und den Tee für Jocelyn aufgesetzt. Aber sie war noch genauso müde, wie die ganze letzte Woche. Seit ihrem letzten Ausflug in die Zukunft hatte sie nicht mehr richtig geschlafen.
»Nein, ich habe es mir nicht anders überlegt«, beteuerte Holly.
»Ich meine nur, so wie du über Libby sprichst, machst du nicht den Eindruck, als wolltest du auf sie verzichten.«
Holly seufzte. »Ich glaube, wenn ich im Kinderzimmer geblieben wäre und nur sie gesehen hätte, würde es anders in mir aussehen. Du hast recht, eigentlich will ich nicht auf sie verzichten, aber wenn ich daran denke, was die Vision mir sonst noch gezeigt hat, dann weiß ich, was ich tun muss. Ich war nicht nur Zeuge von Toms rasendem Schmerz, ich habe tatsächlich selber gefühlt, wie er leidet. Ich kann ihm das nicht zumuten. Es bleibt mir nichts anderes übrig, ich muss auf Libby verzichten. Das weiß ich.«
»Hast du dir schon einen Termin beim Arzt geben lassen?«
»Ja, in ein paar Wochen«, sagte Holly. »Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass du das bereits für mich erledigt hättest.«
Jocelyn lächelte matt. »Ich kenne eben die Tücken der Monduhr. Es wird nicht so einfach sein, nicht schwanger zu werden.«
»Ich lasse mir die Spritze geben, versprochen. Danach ist das Thema Libby passé. Ich werde sie nicht mehr sehen, ich werde nicht erleben, wie sie aufwächst. Ach, Jocelyn, du hättest sie sehen sollen. Sie ist schon ordentlich gewachsen. Sie konnte sich selber aufsetzen und babbelte vor sich hin. Ich glaube, sie wird bald sprechen.« Holly verhaspelte sich beinahe, ihre Worte konnten mit ihren Gefühlen kaum Schritt halten. Aber dann erstarrte sie, als ihr bewusst wurde, was sie gesagt hatte. Jocelyn griff nach ihrer Hand und drückte sie.
»Danach …« Holly suchte wieder nach Worten. »Wenn es Libby nicht mehr gibt, war das dann alles? Ist Libby der einzige Preis, den ich zahlen muss? Glaubst du, dass ich noch andere Kinder haben kann?« Holly hatte diese Frage schon zu lange vor sich hergeschoben, sie musste endlich die Antwort wissen.
Jocelyn hielt immer noch ihre Hand fest. »Ich wollte, ich wüsste die Antwort, aber ich weiß sie nicht. Zumindest nicht sicher.«
»Nicht sicher? Hast du denn eine Vermutung.«
Jocelyn zögerte, sie suchte nach den richtigen Worten und wusste nicht, ob sie lieber gar nichts sagen sollte. »Wenn meine Theorie mit dem universellen Gleichgewicht stimmt, dann muss ich dich leider enttäuschen, es
ist wahrscheinlich dein Schicksal, nur dieses eine Kind zu bekommen.«
»Dann werde ich also nie Mutter. Tom wird nie Vater, es sei denn mit einer anderen Frau«, stellte Holly nüchtern fest. »So viel zum Thema gerechte Weltordnung. Ist es denn zu viel verlangt, dass es für uns alle drei eine Zukunft gibt? Ich, Tom und Libby, eine ganz normale Familie?«
»Ich habe von Gleichgewicht geredet, nicht von Gerechtigkeit. Es ist nicht gerecht. Es ist alles andere als gerecht, aber bitte berufe dich nicht darauf, es ist nur eine Theorie. Zum richtigen Zeitpunkt musst du die Monduhr noch einmal befragen, ein letztes Mal noch. Nur um selber die Antwort herauszufinden.«
Holly schüttelte den Kopf. »Nein! Ich hasse es, mir mein Leben durch das bestimmen zu lassen, was die Monduhr mir zeigt. Wenn ich nur daran denke, welche Überraschungen sie noch auf Lager haben könnte, wird mir schlecht vor Angst.«
Hollys Hand war schon fast taub, weil Jocelyn sie immer noch umklammerte. »Bitte geh kein Risiko ein«, bat Jocelyn nachdrücklich.
Holly merkte, dass sie weinte, und sie konnte nichts dagegen machen. Eine Träne nach der anderen, alle nahmen den gleichen Weg, so oft sie auch darüberwischte.
Das Leben ging weiter, so normal, wie es für Holly im Augenblick möglich war. Sie arbeitete weiter in der Teestube, doch die meiste Zeit verbrachte sie im Atelier, um mit Mrs Bronsons Skulptur voranzukommen. Sie konnte jetzt auf eigene Erfahrungen als Mutter zurückgreifen, und es
war ihre hübsche kleine Libby, die ihr bei der Arbeit vor Augen stand. Wenn sie ihrem Kind schon nicht das Leben schenken durfte, wollte sie es wenigstens in ihrer Skulptur unsterblich machen.
Holly hatte sich
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