Das Geheimnis Der Pilgerin: Historischer Roman
Ärger geben. Herr Martinus' Reisegesellschaft blockierte den gesamten Weg. Wenn sie Pech hatten, und die Passanten waren schlecht gelaunte Ritter, die vielleicht Belagerungsmaschinen oder schweres Geschütz auf Wagen mit sich führten, konnte ihre Habe zerschlagen werden, die Trümmer würden rücksichtslos aus dem Weg geräumt.
Die Reisenden, die ihnen dann auf der Fernhandelsstraße entgegenkamen, erwiesen sich allerdings als unverhoffter Glücksfall. Gerlin erschrak zuerst, als sich ein ganzer Trupp Ritter in so forschem Trab näherte, wie man ihn bei diesem Wetter gerade so reiten konnte. Wenn die Männer in Plünderlaune waren, konnten die Pilger ihnen kaum entkommen. Tatsächlich stand der Trupp jedoch unter dem Kommando eines vergnügten blonden jungen Mannes, der Gerlin sofort an Florís de Trillon erinnerte. Völlig durchnässt, aber eingeschworen auf ritterliche Tugenden, zeigte er, dass er im Frauendienst geübt war. Förmlich verbeugte er sich, als er Gerlin und erst recht die bildschöne Miriam hilflos neben dem Wagen stehen sah.
»Charles de Sainte-Menehould, zu Euren Diensten, meine Damen. Können wir irgendetwas tun, Euch aus dieser misslichen Lage zu befreien?«
Miriam errötete unter seinem interessierten Blick, aber Gerlin sah ihre Chance. »Ihr könnt«, erklärte sie gelassen in dem fließenden Französisch, das man am Hof der Herrin Aliénor kultivierte. »Sofern Ihr Euren Stolz dem Dienst an Eurer Dame unterordnet. Wer ist Eure Minneherrin, Monseigneur de Sainte-Menehould?«
Herr Charles legte feurig die Hand auf sein Herz. »Ich trage das Zeichen der Adrienne de Troyes. Und ich trage es in Ehren. Ich konnte schon viele Kämpfe in ihrem Namen bestehen.«
Gerlin lächelte. »War Adrienne de Troyes nicht einmal Hofdame der Königin Eleonore?«
Sie selbst kannte die Dame nur vom Hörensagen, Adrienne hatte den Hof der Herrin längst verlassen, bevor Gerlin dorthin geschickt wurde. Herr Charles hatte sich, wie viele ernsthafte junge Ritter, eine sehr viel ältere Frau als Minneherrin gewählt.
Jetzt leuchteten die Augen des jungen Ritters auf. »Woher wisst Ihr?«, fragte er erstaunt.
Gerlin biss sich auf die Lippen. Sie hatte sich tatsächlich verplappert, aber es war so angenehm, mit diesem wohlerzogenen jungen Chevalier über höfische Dinge zu reden. »Ich ... hm ... diente als Magd an einem Minnehof, bevor ich meinen Gemahl kennenlernte«, improvisierte Gerlin. »Aber nun, bitte ... vergesst Euren ritterlichen Stolz für kurze Zeit zugunsten des Minnedienstes und zieht uns diese Wagen aus dem Dreck.«
»Wie es die Dame ... und das Fräulein«, Herr Charles verneigte sich lächelnd vor der verwirrten Miriam, »befehlen.«
Der junge Ritter verriet mit keinem Wimpernschlag, ob er Gerlins Ausrede glaubte. Wahrscheinlich würde das Ganze seine Fantasie zu Höhenflügen anregen, sicher träumte er in der Nacht, er habe einer verfolgten Prinzessin beigestanden.
»Du solltest ihn hinterher küssen«, bemerkte Gerlin gegenüber Miriam, die daraufhin noch viel tiefer errötete. Die höfische Sitte, einen Ritter ganz unschuldig mit einem Kuss zu belohnen, war der Jüdin völlig fremd.
Herr Charles und seine Männer befreiten die Wagen der Pilger in kürzester Zeit und tranken gern von dem Wein, den ihnen der dankbare Magister anbot. Danach verstärkten sie ganz selbstverständlich die Eskorte der Reisegesellschaft, was Berthold von Bingen nicht passte. Er nannte die Männer Abram gegenüber verächtlich »Stutzer«, während Herr Charles mit den Damen plauderte und auch für Salomon freundliche und respektvolle Worte fand. Im Laufe des Tages halfen die Ritter den Reisenden noch über so manches Hindernis am Wege hinweg - die Straße war teilweise wie eine Furt ausgewaschen -, und am Abend schlugen sie ein gemeinsames Lager auf. Es hörte endlich auf zu regnen, und alle setzten sich ans Feuer, um ihre Kleider zu trocknen. Miriam schob sich ängstlich an Abram heran und zog ihren nassen Schleier um sich, aber von Herrn Charles und seiner Truppe hatten die Frauen nichts zu befürchten.
»Mein Vater hat eine Burg und ein mittelgroßes Lehen bei Chalon«, erzählte der Ritter, »aber ich bin der drittjüngste Sohn, zu erben gibt es für mich nichts. Ich wäre denn auch gern mit dem König ins Heilige Land gezogen, aber das wollte mein Vater partout nicht. Er hat einen Kreuzzug mitgemacht, und es hat ihm ... hm ... nicht sehr gefallen ...«
Salomon, offensichtlich ebenso angetan von der Skepsis
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