Das Geheimnis Der Pilgerin: Historischer Roman
Wie Gerlin an Florís' Lanze ohnehin kein Zeichen einer Dame gesehen hatte. Sie wollte schon danach fragen, rief sich dann aber zur Ordnung. Was ging es sie an, wer über die ritterlichen Tugenden des Herrn Florís wachte! Stattdessen erkundigte sie sich nach ihrem künftigen Gatten, über den Florís des Lobes voll war.
»Herr Dietrich ist freilich noch jung, aber er besitzt alles, was einen künftigen Ritter ausmacht! Klugheit und Feinsinnigkeit, Mäßigkeit und ein großes Herz! Zudem ist er heiter und freundlich, er ist tapfer, aber er trägt Niederlagen mit Würde. Niemals sah ich ihn etwas tun, was nicht rechtens und ehrenhaft wäre. Manchmal ist er fast etwas zu ...« Florís hielt inne.
»Zu ... was, Herr Ritter?«, fragte Gerlin.
Florís biss sich auf die Lippen. »Zu gutherzig, Herrin ... zu ... verständnisvoll ... zu ...«
»Arglos?«, fragte Gerlin vorsichtig.
Sie wusste nicht, was ihr das Wort eingab. Aber sie hatte den Gesprächen der Männer inzwischen entnommen, dass auf Lauenstein nicht nur die Herrin Luitgart ihre Regentschaft ausübte. Auch ein Roland wurde genannt, ein Ornemünder aus der Thüringer Linie. Gerlin fragte sich, was der Ritter dort tat - und ob seine Anwesenheit damit zu tun hatte, dass offensichtlich sowohl Florís de Trillon als auch Salomon von Kronach Obacht darauf hielten, dass der Lauensteiner Erbe sein Lehen nicht einmal kurzfristig sich selbst überließ.
Florís senkte den Blick. »Es ist nicht schlecht, wenn ein Mensch ohne Arg ist«, bemerkte er. »Sofern er bereit ist, die Ratschläge von Männern anzunehmen, die ... die über etwas mehr ... hm ... Lebenserfahrung verfügen als er ...«
Gerlin lächelte. Die Höfischkeit gebot es, dem Ritter hier aus der Verlegenheit zu helfen. Florís war seinem jungen Herrn zweifellos zutiefst ergeben. »Und von Frauen!«, bemerkte sie. »Oder haltet Ihr Euren Herrn nicht an, eine Minnedame zu erwählen, deren Urteil er vertrauen kann?«
Florís gab das Lächeln zurück. Es zauberte einen jungenhaften, fast etwas verschmitzten Ausdruck auf sein Gesicht. »Ihr könntet nicht wahrer sprechen, Herrin. Und meinem Herrn Dietrich mag das Glück zuteilwerden, seine Minnedame nicht nur im Herzen tragen, sondern auch an sein Herz drücken zu dürfen, so oft es ihm beliebt. Herr Salomon sprach voller Bewunderung von Euch, Herrin, und ich sehe nun, dass er sich nicht nur von Eurer Schönheit beeindrucken ließ, sondern auch von Eurer Klugheit und Einsicht. Mein Herr Dietrich - glaubt mir! - wird beides zu schätzen wissen!«
Am nächsten Tag, Gerlin befand sich gerade in den Räumen ihres Bruders, um auch seine Kleidung für die bevorstehende Reise und den Aufenthalt auf Lauenstein zu richten, hörte sie weniger schmeichelnde Worte über ihren künftigen Gatten. Rüdiger stürmte herein, im Vollgefühl seiner Wichtigkeit und seiner neuen Freundschaft mit den Knappen aus Lauenstein. Theobald und Friedhelm hatten natürlich nicht im Stall geschlafen, das hatte zumindest der »hochgeborene« junge Herr Theobald als unter seiner Würde befunden. Rüdiger hatte ihnen allerdings bereitwillig seine Räume geöffnet und sich eifrig mit ihnen über ihre bisherige Ausbildung zum Ritter, ihre Pferde und vor allem ihre künftigen Mitstreiter am Hof zu Lauenstein ausgetauscht.
»Dein Zukünftiger, Dietrich, scheint ein rechter Weichling zu sein!«, erklärte er Gerlin jetzt ohne jede Hemmung. »Der Herr Theobald hat ihn in der letzten Woche viermal vom Pferd gestoßen, und Herr Friedhelm immerhin zweimal. Aber er sagt, im Schachspiel habe ihn noch nie jemand geschlagen.«
»So«, meinte Gerlin - nur mäßig interessiert. »Dann könntest du ja seinen Respekt gewinnen, indem du dich darin vor dem Abritt noch etwas üben würdest.«
Für Gerlin besagten Rüdigers Reden mehr über die Loyalität der beiden Knappen ihrem Herrn gegenüber denn über Dietrichs tatsächliche Qualitäten als Ritter. Bei Herrn Theobald schien es damit nicht weit her zu sein, während Friedhelm seine Schmähungen wenigstens abschwächte.
Rüdiger zog einen Flunsch. »Brettspiele sind was für Mädchen!«, bemerkte er und wiederholte hier ohne Frage wieder einmal eine Erkenntnis seines zweifelhaften Waffenmeisters.
Gerlin schüttelte den Kopf. »Nun, da irrst du dich!«, sagte sie. »Zumindest, was das Schachspiel betrifft. Man nennt es auch das ›Spiel der Könige‹, denn es ist ein Sinnbild für die offene Feldschlacht - aber auch für höfische Intrigen und Finten.
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