Das Geheimnis Der Pilgerin: Historischer Roman
Die größten Feldherren pflegten sich im Schachspiel auszuzeichnen. König Richard widmet ihm viele Stunden - und seine Mutter ist ihm die kundigste Gegnerin!«
Rüdiger merkte auf. Der englische König war ihm ein Vorbild. »Aber Herr Leon sagt ...«
»Herr Leon ist sowohl von der Stellung eines Feldherrn wie der eines Königs weit entfernt. Noch gedenkt niemand, ihm ein Lehen zu geben, und das ist auch besser so, denn er wüsste es kaum ordentlich zu verwalten!« So deutlich hatte Gerlin sich noch nie geäußert, aber langsam reichte es ihr mit der Besserwisserei des Herrn Leon. »Soll das heißen, Rüdiger, dass dir niemand bisher das Schachspiel erklärt hat?«
Rüdiger schüttelte den Kopf. »Beherrschst du es denn?«, fragte er seine Schwester - in bewunderndem Tonfall, was selten vorkam. Auch das gute Benehmen einer Dame gegenüber wurde unter Leons Anleitung eher kleingeschrieben.
Gerlin nickte. »Natürlich. Und ich bin sicher, dass sich jeder Knappe am Hof von Lauenstein darin übt. Wenn ich heute Abend etwas Zeit finde, werde ich dich in das Schachspiel einweisen - während Herr Theobald und Herr Friedhelm ihren Rittern im großen Saal aufwarten, wie es sich ziemt. Gestern habe ich zumindest Herrn Theobald nicht diensteifrig hinter seinem Herrn stehen sehen! Nimm dir diesen Jungen nicht zum Vorbild. Er mag ja fähig sein, seinen Grafen kunstgerecht vom Pferd zu tjosten, aber sich damit zu brüsten gehört sich nicht. Ritterliche Tugenden, Rüdiger, beschränken sich nicht auf den Umgang mit Schwert und Lanze. Gerade nicht für die Erben eines Lehens. Für Fahrende mag etwas anderes gelten, aber du übst dich besser in Mäßigkeit und Largesse, im gerechten Urteil und in Erbarmen. Als Erbe von Falkenberg wirst du häufiger Recht sprechen als Fehden ausfechten!«
»Wohl gesprochen, Fräulein Gerlin! Verzeiht, dass ich gelauscht habe.«
Florís de Trillon schob sich durch die Tür, die Rüdiger offen gelassen hatte. Der kleine Knappe lief sofort puterrot an. Er hoffte, dass der Ritter nicht gehört hatte, wie geringschätzig er von Dietrich von Lauenstein gesprochen hatte! Aber Florís war wohl eben erst über den Wehrgang an Rüdigers Gemach vorbeigekommen. Zweifellos auf dem Weg in das seine - er hatte Peregrin von Falkenberg auf einem Ritt über seine Güter begleitet und wollte sich nun wohl umkleiden.
»Hört auf Eure Schwester, Herr Rüdiger, dann werde ich stolz sein, Euch in absehbarer Zeit zum Ritter zu schlagen.« Florís lächelte wohlwollend.
»Ihr?«, fragte Rüdiger zweifelnd. Gerlin mochte gar nicht daran denken, was Leon ihrem Bruder über die kämpferische Eignung höfisch erzogener Ritter eingeflüstert hatte. »Aber Ihr ...«
Florís runzelte die Stirn. »Zweifelt Ihr an meiner Stellung als Marschall und Waffenmeister auf Lauenstein?«, erkundigte er sich. »Nun, Ihr werdet Euch noch wundern, wenn ich Euch demnächst gründlich schleife! Bei mir feiert keiner die Schwertleite, der nicht in einem echten Kampf bestehen kann! Selbstverständlich nehme ich Euch nicht übel, wenn Ihr beim Ritterschlag einen anderen Herrn vorzieht. Vielleicht steht Euch ja Euer bisheriger Waffenmeister besonders nahe. Er begleitet uns nach Lauenstein, nicht wahr, Herrin Gerlin?«
Gerlin nickte, bemühte sich aber gar nicht erst um einen Ausdruck, als begrüße sie Herrn Leons Entsendung an Dietrichs Hof.
Rüdiger beeilte sich, seinem neuen Lehrherrn zu versichern, dass es ihm zweifellos eine Ehre sei, von ihm zum Ritter geschlagen zu werden. Gerlin nahm an, dass es ihrem Bruder ziemlich egal war, wer diese heilige Handlung letztlich vollzog. Hauptsache, er war endlich erwachsen und konnte ausziehen, um Abenteuer zu erleben. Gerlin hoffte, dass man ihm auch diese Vorstellung am Lauensteiner Hof noch austrieb. Rüdiger hatte bereits ein Lehen, er musste sich nicht in fremden Diensten bewähren. Peregrin von Falkenberg brauchte die Unterstützung seines Sohnes bei der Verwaltung - und vor allem einen lebenden Erben! Aber Rüdiger schwärmte für die Geschichten um König Artus' Hof. Er machte sich einfach nicht klar, dass Abenteuer sehr viel häufiger einen frühen Tod bedeuteten als den Erwerb von Ruhm und Ehre.
»Wann können wir denn abreiten, Herrin Gerlin?«, wechselte Florís jetzt das Thema. »Ich weiß, Ihr wünscht Euch noch etwas Zeit zur Regelung Eurer Angelegenheiten und zum Abschied von Eurer Familie. Aber ich ... ich lasse meine Knappen ungern tagelang unbetreut.«
Er biss sich auf die
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