Das Geheimnis der Puppe
Spätnachmittag an. Danny wurde gleich hinaus in den Garten geschickt mit der Ermahnung, sich nicht allzuweit vom Haus zu entfernen. Es war dann bereits Abend, als der Lastwagen mit unserem dritten Mann am Steuer wieder abfuhr. Und in der Zwischenzeit war Danny rund ein dutzend Mal irgendeinem vor die Füße gelaufen. Mal hatte er Hunger, mal war er entsetzlich durstig, dann wieder mußte er aufs Klo, manchmal wollte er auch unbedingt helfen. Mir erging es nicht viel besser. Natürlich packte ich mit an, trug Stühle, Kartons und dergleichen ins Haus. Und obwohl ich mich ständig beschäftigte, hatte ich immerzu das Gefühl, den Männern im Weg zu sein wie Danny, nur schickten sie mich nicht zu Laura mit dem Hinweis, die würde mir schon was zu trinken geben. Und Laura wanderte treppauf, treppab und wieder hinauf und wieder hinunter. Sie war völlig überdreht, erklärte mir rund hundertmal:»Hier bringt mich kein Mensch mehr raus.«
Als gegen sechs Uhr der LKW abfuhr, ging Laura in den Keller, setzte sich an den Tisch in der Dienstbotenkammer. Und dort blieb sie, bis sich die Meisenbrüder kurz nach acht verabschiedeten. Irgendwie verlassen standen wir bei der Tür und schauten dem altersschwachen Ford Capri hinterher, in dem sie davonfuhren. Laura strahlte mich an.
»Wir haben es geschafft, Tom. Ist es nicht herrlich.«
Für meine Begriffe war es das nicht. Ich hatte das dumpfe Gefühl, mitten im Chaos zu stehen. Unsere gesamte Einrichtung stand komplett in der Bibliothek. Lediglich Dannys Bett und unsere Matratzen waren hinauf in den ersten Stock geschafft worden. Aber das störte mich weniger.
»Ich bin völlig in Ordnung«, behauptete Laura, als sie meinen Blick sah.
»Mach dir um mich keine Sorgen. Ich komme damit zurecht. Ich bin immer damit zurechtgekommen.«
Aus dem Durcheinander der Kartons fand sie treffsicher den mit den Lebensmitteln heraus, nahm ein paar von den Sachen mit in den Keller und kümmerte sich dort um eine rasche Mahlzeit, während ich hinaufging und unser provisorisches Lager mit frischer Wäsche bezog. Wenig später aßen wir an dem großen Arbeitstisch in der Küche. Die Tür nach draußen stand weit offen. Wir schauten auf vernachlässigten Rasen, auf wild wuchernde Sträucher und die Bäume. Und ich glaube, in der halben Stunde waren wir alle drei einigermaßen zufrieden. Wenn ich an die nächsten Tage dachte, wurde mir ein wenig mulmig. Laura wirkte immer noch so aufgekratzt und hektisch. Wir brachten Danny zu Bett, wuschen das Geschirr ab, und anschließend wollte Laura unbedingt noch ein Weilchen auf der Terrasse sitzen. Ich trug zwei von den Küchenstühlen hinaus und um das Haus herum. Die Terrasse nahm fast die gesamte Rückfront ein. Es war ein gewaltiger Unterschied zu dem, was in unserem bisherigen Mietvertrag als Balkon bezeichnet wurde. Aber an diesem Haus war alles gewaltig. Ausgelegt war die Terrasse mit Natursteinen, ein paar Stufen führten hinunter in den Garten. Und neben den Stufen war das Erdreich zu einer Schräge aufgetürmt, auf der ziemlich hohes Gras und eine Unmenge anderer Pflanzen wuchsen. Tagsüber war es sehr heiß gewesen, doch der Abend war mild. Stundenlang hätte man im Freien sitzen können. Ein kaum spürbarer Wind ließ die Baumkronen murmeln. Laura schaute sich um.
»Ich habe das Gefühl, jetzt bin ich endlich zu Hause. Nichts gegen unsere Wohnung, aber ich habe immer sehr viel Platz um mich herum gebraucht. Wir werden noch eine Menge Arbeit haben, ehe alles in Ordnung ist. Aber ich fühle mich jetzt schon so wohl. Kannst du den Rasen schneiden, Tom.«
Wenn es nur der Rasen wäre, dachte ich. Selbst später, als wir schon auf den Matratzen lagen, flüsterte sie noch von Dingen, die getan werden mußten. Ich lag noch lange wach neben ihr. Den Kopf voller Gedanken. Und im Magen ein sehr ungutes Gefühl. Am nächsten Morgen war Laura lange vor mir auf den Beinen, machte Frühstück, lief mit Danny den Garten hinunter und wieder hinauf. Dann weckte sie mich. Sie war ein wenig außer Atem, und ihr Gesicht schimmerte rosig und gesund.
»Wie lang, hat Dressler gesagt, ist der Garten.«
Ich wußte es nicht mehr, jedenfalls nicht so früh am Morgen. Es war nicht einmal sieben.
»Der Kaffee ist fertig«, sagte Laura.
»Jetzt komm endlich, wir haben einen harten Tag vor uns.«
Hatten wir nicht. Gleich nach dem Frühstück fuhr draußen der Ford Capri vor. Heinz und sein Bruder, zweckmäßig gekleidet in Jeans und kurzärmeligen, karierten Hemden.
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