Das Geheimnis der Puppe
Schritte der Männer zu hören, ihre Stimmen, leise und undeutlich. Vor der Terrasse nahm der Bagger erneut seine Arbeit auf. Und irgendwo im Haus rauschte Wasser. Ich hörte es nur, weil alle Türen offenstanden. Noch einmal. Allmählich bekam ich die Wut in den Griff. Achte Szene, außen, Nacht. Vor dem Haus steht ein Personenwagen, ein Modell aus früheren Jahren. Zwei Männer steigen aus, einer beugt sich in den Wagen hinein und zerrt eine hochschwangere Frau heraus. Ob dieses Muskelpaket von arbeitslosem Kraftfahrer es tatsächlich auf Laura abgesehen hatte? Kaum vorstellbar, aber immerhin. Auch mit ihrem Kugelbauch war Laura eine Augenweide. Selbst eben, als sie so verschwitzt, so ausgelaugt am Küchentisch saß … Oder war es umgekehrt? Suchte Laura jetzt nach einem
»starken Man.«
? Das Wasserrauschen, alle Türen standen offen. Laura duschte bei offener Tür. Und nebenan wurden die ersten Tapetenbahnen eingekleistert: Von zwei jungen, überaus gutaussehenden Männern mit muskulösen Armen und behaarter Brust. Und meinen Händen sah man deutlich an, daß sie für richtiges Werkzeug nicht taugten. Wann hatte ich zuletzt einen Hammer gehalten? Wann hatten wir uns zuletzt geliebt? Wie oft hatte ich in den letzten Wochen von Laura gehört:»O bitte, Tom, es ist so heiß. Heute nicht.«
Ich erhob mich, ging zur Terrassentür und weiter bis zu den Stufen. Danny hatte ganze Arbeit geleistet. Auf einer Fläche von knapp einem halben Meter Durchmesser wuchs kein Hälmchen mehr. Alles was dort an Pflanzen gestanden hatte, lag nun vor dem Erdwall, zum Teil bereits vertrocknet. Der Bagger stand noch auf der Schräge. Von Danny selbst war nichts mehr zu sehen. Bedächtig stieg ich in den Garten hinunter und schlenderte mit geballten Fäusten in den Hosentaschen den moosbewachsenen Pfad entlang. Ich fand Danny schließlich weit hinten bei einem kleinen Teich, naß und so schmutzig, zum erstenmal in seinem Leben richtig dreckig. Irgendwie beruhigte mich das, es machte sogar ein wenig gute Laune. Ich nahm ihn mit ins Haus, steckte ihn in die Badewanne. Die Dusche war feucht, ganz offensichtlich hatte Laura das zweite Bad benutzt. Jetzt lag sie zusammengerollt auf Dannys Bett. Ich wollte sie nicht stören und kehrte an die Schreibmaschine zurück. Laura schlief bis kurz nach sechs. Ich hörte sie die Treppe hinunterkommen und in den Keller gehen. Mit meiner Konzentration war es ohnehin nicht mehr weit her. Und die ganze Zeit über redete ich mir krampfhaft ein, daß ich für heute genug getan hätte. Betont lässig stieg ich ebenfalls die Treppe hinunter. Laura saß wieder vor dem Tisch in der Dienstbotenkammer und starrte die Klappe auf dem gegenüberliegenden Mauerstück an. Sie kaute auf ihrer Unterlippe, ein sicheres Zeichen für Nervosität und Angespanntheit. Sie mußte meine Schritte gehört haben, beachtete mich aber selbst dann nicht, als ich in der Tür stehenblieb. Erst nach mehr als einer Minute erkundigte sie sich in spöttischem Ton:»Fällt dir nichts mehr ein.«
Auch dabei blieb ihr Blick auf die Klappe gerichtet. Ihre Augen glitten darüber hin und her, es schien fast, als wolle sie damit den schweren Riegel zurückschieben.
»Das Ding macht mich wahnsinnig«, murmelte sie nach einer Weile, und endlich drehte sie mir das Gesicht zu.
»Hast du das Stück schon, wo Sandy in dem Verschlag gehalten wird wie ein Tier? Wo Cheryl sich noch entsetzlich vor ihr fürchtet, wenn sie sie füttern muß.«
»Soweit bin ich noch lange nicht«, erklärte ich.
»Außerdem meinte Wolfgang, ich sollte das weglassen. Es gibt für den Film nicht viel her.«
Laura lachte rauh.
»Wolfgang ist ein Idiot. Das sind die besten Szenen im ganzen Roman. Warum haben die das verdammte Ding abgeschlossen.«
»Ich weiß es nicht«, sagte ich hilflos. Und Laura lachte noch einmal.
»Du weißt es nicht. Natürlich weißt du es nicht. Woher denn auch? Du weißt nur, an welchen Stellen du deine Spezialeffekte einbauen mußt, damit die Leute eine Gänsehaut kriegen. Geh rauf und grab noch ein paar unterirdische Gänge. Ich kümmere mich um das Abendessen.«
Ich wollte ihr darauf antworten, aber mir fiel einfach nichts ein. So blieb ich noch ein paar Sekunden lang bei der Tür stehen, betrachtete Laura mit wachsendem Unbehagen und einem Gefühl der Hilflosigkeit. Dann ging ich wieder hinauf und holte Danny aus dem Garten. Gegen acht verabschiedeten sich die Männer. Wenig später bat Laura mich, unseren kleinen Tisch und ein paar
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