Das Geheimnis der Puppe
und mir dabei vorgestellt, daß man sie eines Tages einsperrt, daß ich dann endlich frei bin. Es hat meist geholfen.«
Laura richtete sich auf, rupfte an einem Zipfel des verstaubten Kissenbezuges herum, betrachtete die im Lichtstreifen aufsteigenden Staubpartikel.
»Ich bin aufgewacht. Das Baby war so unruhig, daß es mich geweckt hat. Ich wollte nur rasch ins Bad, aber ich mußte hinuntergehen, ich mußte einfach. Ich hatte den ganzen Tag über schon so ein komisches Gefühl. Ich denke mir, wenn ein Mensch lange in einem Raum gelebt hat, dann hat er vielleicht etwas dort zurückgelassen. Und damals kann sie noch nicht so gewesen sein wie heute. Und ich dachte .«
Laura zupfte mit nervösen Fingern weiter, stotterte mit gesenktem Kopf, den Blick starr auf die Lichtbahn gerichtet. Sie hob flüchtig die Schultern.
»Du erklärst mich wahrscheinlich für übergeschnappt, wenn ich es dir sage. Ich dachte einfach, daß ich hier vielleicht etwas von dem Menschen finde, der sie früher war.«
Jetzt hob sie endlich den Blick, schaute mir ins Gesicht, lächelte sogar andeutungsweise.
»Und ich meine, verdammt noch mal, kein Notizbuch oder so was, verstehst du.«
Ich denke schon, daß ich verstand. Deshalb ging ich nach fast einer Stunde alleine nach oben. Dort lag ich noch eine Weile wach und wünschte mir, daß wir in unserer engen Stadtwohnung geblieben wären. Oder daß Laura die Erklärung fand, nach der sie in der Dienstbotenkammer suchte. Laura fand sie, aber nicht in der Dienstbotenkammer. Im Dorf gibt es noch einige Leute, die sich recht gut an die junge Marianne erinnern. Ein hübsches, manchmal trauriges Mädchen, so hat man sie uns beschrieben. Marianne hatte ihre Eltern sehr früh verloren. Den Vater durch einen Arbeitsunfall. Die Mutter unter reichlich mysteriösen Umständen, deren Schilderung bei mir den Verdacht erhärteten, daß ihre Mutter sich kurz nach dem Tod des Vaters umbrachte. Anschließend hatte Marianne einige Monate im Haus eines Onkels gelebt. Dort war sie nicht eben gut behandelt worden, die mittellose Waise, die man nur aus Gnade und Barmherzigkeit aufgenommen hatte, was man sie wohl jeden Tag fühlen ließ. Bis sie schließlich die Stellung bei den Steiners antrat. Da war sie gerade sechzehn gewesen. Steiner muß zu der Zeit Anfang dreißig gewesen sein. Wir haben in einem Fach des Sekretärs ein paar alte Fotografien gefunden. Sie zeigen einen gutaussehenden Mann, dessen Gesichtsausdruck keinen Zweifel an seiner Dynamik läßt. Ein Mann, der andere mitreißen konnte. Ein verheirateter Mann, gebunden an eine schöne, kluge, hochbegabte und sensible Frau, für die er alles tat. Wir erfuhren sogar, daß Marianne nicht nur als Hausmädchen eingestellt wurde, daß sie sich auch um Steiners Kinder kümmern mußte. Denn Elisabeth Steiner war viel auf Reisen, ging auf Tourneen, gab Konzerte. Das letzte im November. Da war Marianne seit gut einem Jahr im Haus. Und Elisabeth Steiner gab ihre Karriere nicht auf, weil sie eine Familie hatte. So mag es Bert gegenüber dargestellt worden sein. Aber so war es nicht. Steiners Frau verabschiedete sich von der Öffentlichkeit, weil einen Monat zuvor ein Kind geboren war. Ein Kind, das niemand haben wollte. Am Samstagmorgen taten wir beide wieder einmal so, als sei nichts gewesen. Es war kurz nach sieben, als mich das Wasserrauschen aus dem Bad aufweckte. Laura lag ausgestreckt in der Wanne. Das Wasser reichte ihr bereits über den vorgewölbten Leib, und sie ließ immer noch mehr zulaufen. Sie lächelte, als ich bei der Tür auftauchte.
»Jetzt wasche ich den Dreck an«, sagte sie.
»Und dann brauche ich ein kräftiges Frühstück. Ob es hier wohl einen Bäcker gibt, der morgens frische Brötchen ausliefert.«
Es schien ganz so, als denke sie angestrengt über diese Frage nach. Ich ging hinunter und suchte die Zutaten für ein kräftiges Frühstück zusammen. Orangensaft und Kaffee, Eier, Schinken, Brot. Als Laura wenig später die Küche betrat, war der Tisch gedeckt. Danny schlief noch. Laura überlegte kurz, ob sie ihn wecken sollte, entschied sich dagegen.
»Frühstücken kann er auch um zehn noch.«
Dann belegte sie sich zwei Brotscheiben mit Schinken, häufte eine ansehnliche Portion Rührei auf ihren Teller.
»Sind noch Essiggürkchen im Kühlschrank.«
Bevor ich dazu kam, nachzusehen, stand sie selbst auf. Sie ging etwas schwerfällig, hielt sich eine Hand in den Rücken, bewegte die Schultern, als sei die Muskulatur verspannt. Und dann
Weitere Kostenlose Bücher