Das Geheimnis der Rosenkreuzerin
vor, künftig weniger danach zu fragen, was nützlich, sondern eher danach, was gut war. Es entspannte sie, ihren Sohn beim Spielen zu beobachten. Jetzt könnte die Zeit stehen bleiben, dachte sie. Dann beschloss sie, sich einen Apfelsaft aus dem Kühlschrank zu holen und es sich im Korbsessel auf der Terrasse bequem zu machen.
Gerade hatte sie sich den naturtrüben Apfelsaft eingegossen, als es an der Tür klingelte. Maria stellte die Flasche wieder in den Kühlschrank zurück, ließ das Glas mit einem wehmütigen Blick stehen und ging zur Tür.
Draußen stand ein fremder Mann. Er war etwa in ihrem Alter, hatte schwarze Haare und trug einen Armanianzug. Er wirkte gehetzt.
»Guten Tag, Frau Luther. Ich muss Sie dringend sprechen. Darf ich hereinkommen?«
»Worum geht es denn?«, fragte sie distanziert. Sie roch den Ärger förmlich, der an dem Unbekannten kleb te. Mit einem kaum hörbaren Stöhnen quittierte er die Ablehnung, als habe er damit gerechnet, ließ sich davon aber nicht verunsichern.
»Ich will Ihnen weder etwas verkaufen noch etwas aufschwatzen. Ich bin auch kein Vertreter, falls Sie das denken sollten! Es handelt sich um den Einbruch.«
Seine Stimme klang ein wenig heiser. Je eingehender sie ihn betrachtete, umso stärker verriet ihr eine innere Stimme, dass sie ihn irgendwoher kannte. Sie überlegte kurz, ob es besser wäre, die Polizei zu rufen.
Als hätte er ihre Gedanken erraten, schüttelte er leicht den Kopf. »Und es geht um Ihren Großvater.«
»Um meinen Großvater?« Marta riss vor Staunen die Augen auf. Was wusste dieser Mann von ihrem Großvater? Sie beschloss, äußerste Vorsicht walten zu lassen, und trat instinktiv einen halben Schritt zurück, jederzeit dazu bereit, ihm die Tür vor der Nase zuzuschlagen.
»Darf ich eintreten?« Eigentlich wollte sie das nicht und reagierte deshalb auch nicht auf die Bitte.
»Ich kann unmöglich hier draußen mit Ihnen darüber reden. Die Angelegenheit ist von höchster Wichtigkeit«, versuchte er, sie zu überzeugen.
Sie überdachte die Situation, nickte dann knapp, ließ ihn doch ein und führte ihn ins Behandlungszimmer. Unter keinen Umständen würde sie den Fremden, der sie in der Tat an jemanden erinnerte, in ihre Privaträume führen. Die Praxis dagegen, die von vielen Menschen frequentiert wurde, konnte sie gewissermaßen als öf fentlichen Raum betrachten. Dennoch befiel sie das Gefühl einer unterschwelligen Bedrohung, als er sich ihr, ohne eine Aufforderung abzuwarten, gegenübersetzte und das rechte Bein über das linke schlug. Seine langen, schlanken Pianistenhände ruhten auf der Kniewölbung, wäh rend er sie mit Augen anschaute, die keine Regung verrieten. Das perfekte Pokerface, dachte sie.
»Mein Name ist Alfonso Villanova, aber das tut genau genommen nichts zur Sache.«
Einen Ausländer hatte sie nicht in ihm vermutet. Im selben Moment wurde ihr klar, dass er sie bis jetzt mit jedem Satz überrascht hatte. »Spanier?«, fragte sie mit mäßigem Interesse aus Höflichkeit.
»Meine Mutter war Spanierin, mein Vater Deutscher.« Er lächelte undurchdringlich und verzog nur die Mundwinkel, die Augen blieben starr.
Wo hatte sie ihn nur schon einmal gesehen? Es drängte sie, so schnell wie möglich herauszufinden, woher sie ihn kannte. »Sind wir uns schon einmal begegnet?«
»Nein, eigentlich nicht. Aber darum geht es wirklich nicht.«
Er wich ihrer Frage aus. Wahrscheinlich, weil er etwas vor ihr verbergen wollte. »Möchten Sie einen Kaffee oder einen Tee?«, fragt sie mehr aus dem Bedürfnis heraus, sich hinter einer Floskel verstecken zu können. Es konnte nicht schaden, etwas Zeit zu gewinnen. Vielleicht käme ihr Gedächtnis dann endlich in die Gänge.
Er wehrte das Angebot flüchtig mit den Fingern der linken Hand ab, die er wie die Glieder eines Fächers nacheinander nach außen spreizte. »Alles, was Sie jetzt hören, müssen Sie für sich behalten. Menschenleben hängen von Ihrem Schweigen ab. Reden Sie also mit niemandem darüber. Es geht um Leben und Tod.« Das sagte er ganz ruhig und sachlich, als wäre es die normalste Sache der Welt.
»Geht es auch eine Nummer kleiner?« Vielleicht gehörte es ja zu seiner Strategie, sie einzuschüchtern.
»Glauben Sie mir, das ist schon die kleinste Nummer«, sagte er und sah ihr dabei so fest in die Augen, dass sie den Blick senken musste.
Es ärgerte sie, dass es ihm tatsächlich gelungen war, sie einzuschüchtern. »Bevor Sie weiterreden, möchte ich klarstellen, dass
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