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Das Geheimnis der Rosenkreuzerin

Das Geheimnis der Rosenkreuzerin

Titel: Das Geheimnis der Rosenkreuzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Klausen
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ganzen Andersartigkeit. Sicher, Venedig unterschied sich deutlich von Straßburg und Zypern umso mehr, aber es waren doch Orte, in denen das Christentum herrschte und nicht lediglich geduldet wurde. Plötzlich fühlte Maria sich wieder in ihre Kindheit zurückversetzt, in die Zeit, in der sie als Juden in ihrer Heimatstadt wie Fremdkörper inmitten der christlichen Mehrheitsgesellschaft gelebt hatten, im Gefühl einer ständigen Bedrohung, weil eine Unbedachtheit die Katastrophe auslösen konnte. Man hielt sich abseits, zog sich tief in die jüdischen Zirkel zurück und betete, dass der Herr sie schützen möge. Welche Ironie des Schicksals, dass sie jetzt, in ihrer Verkleidung als christlicher Mönch, ein ähnliches Gefühl der Gefährdung beschlich, wie sie es als jüdisches Kind erlebt hatte. Dieses Gefühl war umso größer, da sie den fremden Alltag mit seinen Spielregeln nicht durchschaute.
    Noch bevor der Muezzin die Gläubigen zum Gebet rief, hatte sie einen Platz für die Nacht in einer der zahllosen Pilgerherbergen gefunden, die außer den Wallfahrern unfreiwillig auch einer internationalen Versammlung von Ungeziefer Unterkunft gewährte.
    In der Herberge fand sie Anschluss an eine Gruppe von Pilgern, in der Hauptsache Franziskaner, die sich der Führung eines professionellen Pilgerführers anvertraut hatten, eines ortsansässigen Drusen, und am nächsten Morgen aufbrechen wollten, um über die gut bewachte und stark frequentierte Pilgerstraße nach Damaskus zu wandern.
    Drei Tage war sie in Richtung Damaskus unterwegs, über schwindelerregende Pfade durch das karge, schon im Altertum abgeholzte Gebirge, das sich zur Bekaa-Ebe ne erstreckte, bis sie schließlich hinab in die blühenden Gärten der Ghuta gelangte. Sie übernachtete in heruntergekommenen, verwanzten Herbergen, einmal auch in einem Maronitenkloster, das aber leider auch nicht viel reinlicher war.
    Der Abt, ein graubärtiger Alter mit sonnengegerbtem Gesicht und Hakennase, freute sich über den Besuch eines Dominikaners und zog Maria sofort in ein Gespräch. Er versicherte ihr, dass die Maroniten den Papst als Oberhaupt anerkannten und auch an die doppelte Natur Jesu Christi als Mensch und Gott glaubten. Im Gegensatz zu den Katholiken attestierten sie Jesus aber nur einen Willen: einen göttlichen. Mit zitternder Greisenstimme und funkelnden Augen wiederholte der Klostervorsteher noch einmal: »Jesu Willen ist rein göttlich!«
    Maria schüttelte innerlich den Kopf. Wie kompliziert es sich die Menschen doch mit ihrem Glauben machten! Wenn Gott größer als alles Denkbare war und jedes Vorstellungsvermögen überstieg, wie konnte man sich dann nur so konkrete Vorstellungen machen und sich wegen dieser Vorstellungen auch noch gegenseitig nach dem Leben trachten?
    Während der Abt sich in mäandernden theologischen Ausführungen verlor, dachte Maria an eine Geschichte, die ihr Vater ihr einmal erzählt hatte. Zu dem großen Rabbiner Schamaliel kam ein Mann. Er fragte den Rabbiner, ob er ihm das Judentum mit seinen 623 Gesetzen in der Zeit erklären könnte, in der er auf einem Bein zu stehen imstande war. Schamaliel schlug den Mann erbost mit seinem Stock und jagte ihn aus dem Haus. Was für eine Blasphemie! Ein Leben genügte nicht, um Gottes Gesetze zu studieren und der Einfaltspinsel wollte sie in der Zeit erläutert wissen, in der er sich auf einem Bein zu halten in der Lage war. Hatte man jemals so eine Frechheit vernommen?! Der Mann aber ließ es sich nicht verdrießen, suchte den nicht weniger berühmten Rabbiner Gamaliel auf und bat ihn um dasselbe. Dieser nun antwortete, dass er es könne. Das Wesen der Gesetze, erklärte er, bestünde in dem Satz: Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem anderen zu. Dann lächel te der Rabbiner und meinte abschließend: Der Rest ist Auslegungssache.
    Maria schützte Müdigkeit vor, um den ausufernden Spekulationen des Abtes zu entkommen, zumal sie nicht recht auskunftsfähig war, da sie niemals über die Gottnatur nachgedacht hatte, obwohl sie im Credo mitsprach:
    Credo in unum Deum …
    Et in unum Dominum Jesum Christum
    (Wir glauben an den einen Gott …
    … Und an den einen Herrn Jesus Christus,
    Gottes eingeborenen Sohn,
    aus dem Vater geboren vor aller Zeit:
    Gott von Gott, Licht vom Licht,
    wahrer Gott vom wahren Gott,
    gezeugt, nicht geschaffen,
    eines Wesens mit dem Vater)
    Die Mahlzeiten unterwegs blieben karg. Zu essen gab es Fladenbrot. Auf das schimmernde Fleisch

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