Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geheimnis der Rosenkreuzerin

Das Geheimnis der Rosenkreuzerin

Titel: Das Geheimnis der Rosenkreuzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Klausen
Vom Netzwerk:
seine Familie und seine Gesundheit vernichtete und ihn in den beklagenswertesten Menschen unter der Sonne verwandelte. Was für eine grausame Wette! Welche Enttäuschung, dass sich Gott zu einem so niederträchtigen Spiel hergab. Mit Tränen in den Augen dachte sie daran, wie oft sie sich mit ihrem Vater über diese Geschichte gestritten hatte, die sie bis heute nicht gänzlich begriff. Prüfte Gott sie, wie er einst Hiob auf die Probe stellte?
    Das Schwindelgefühl, das sie wanken ließ, erinnerte sie daran, dass sie den ganzen Tag weder etwas getrun ken noch etwas gegessen hatte. Ihre Gedanken überstürz ten sich. War ihre Reise hier in Damaskus zu Ende? Was sollte sie nun tun? Nach Jerusalem weiterziehen? Obwohl er dort angeblich nie angekommen war? Umkehren und unverrichteter Dinge nach Hause zurückkehren? Aber wo war ihr Zuhause? In Straßburg, ihrer Geburtsstadt, lebten weder ihre Eltern noch ihre Verwandten. Mechthild und die anderen Beginen, bei denen sie aufgewachsen war, hatte der Bischof ertränken lassen, und Bruder Johannes wurde von zypriotischen Würmern verspeist. Die Bösen feierten Erfolge, die Guten starben elendig. Die Welt nahm einen blutigen Gang und folgte dem Teufel. Niemanden, den sie kannte – bis auf ihre Erzfeinde, den Bischof und dessen Sekretär –, würde sie in Straßburg antreffen. Konnte die Stadt überhaupt noch als ihre Heimat gelten?
    Ihre Heimat würde sie wohl erst dann finden, wenn sie ihren Bruder wiedertraf.

Kapitel 19
    M it den Sternen zog von Nordwesten auch ein kühler Nachtwind auf, der vom Meer kam. Ge nau wie sie. Allmählich empfand sie diesen Wind als treuen Begleiter. Tröstend liebkoste er ihr Gesicht und kühlte Stirn und Wangen. Ihr fehlte die Kraft, sich zu erheben. Mit dem Aufstehen war es ja nicht getan, denn dann musste sie sich entscheiden, wohin sie sich wen den wollte. Ja, wohin? Das Ziel ihrer gleichermaßen gefährlichen wie beschwerlichen Reise war ihr in dem Augenblick abhanden gekommen, als sie die Spur ihres Bruders verloren hatte. Jetzt schwankten ihre Gedan ken zwischen Umkehren und Weitergehen, also zwi schen Rache und Suche und letztlich zwischen Tod und Leben.
    Und während sie so mit dem Schicksal und sich selbst haderte, spürte sie einen durchdringenden Blick auf sich ruhen. Sie sah auf und schaute in zwei schwarze Augen, die sie neugierig musterten. Die Iris des Fremden hatte zu viel Sonne gesehen. Seinen athletischen Körper verhüllte ein knöchellanges blaues Wollgewand, das ein gelbes Tuch als Gürtel um die Taille zusammenhielt. Auf dem Kopf saß ein grüner Turban. Er sprach sie auf Arabisch an, dann wechselte er probeweise ins Lateinische. Die tadellose Aussprache überraschte sie.
    »Suchst du eine Unterkunft, Pilger?« Weder lächelte er einladend noch verriet sein Antlitz irgendeine Regung, es war nur schön, mit ebenmäßigen Zügen, und seine Miene war irritierend unbewegt.
    »Mein Vater im Himmel hat für mich gesorgt«, antwortete sie die Bibel zitierend und trotzdem doppeldeutig, denn es blieb offen, ob sie Gott oder ihren leiblichen Vater, den Rabbiner, damit meinte. Aber das ging den Fremden nichts an.
    »Ich weiß, denn Gott, der Erhabene, hat mir befohlen: Mach dich auf, Hafis, und suche meine Tochter, die sich in der Kutte der Predigerbrüder verbirgt.«
    Maria erschrak. Der Fremde hatte sie durchschaut! Unwillkürlich tastete sie vorsichtig unter der dicken Kut te nach dem Dolch mit der Damaszenerklinge, der ihr schon einmal so gute Dienste geleistet hatte. Der Frem de, der sie nicht aus den Augen gelassen hatte, lächelte undurchdringlich. Auch wenn sie sich schwach fühlte, würde sie sich mit aller Kraft verteidigen.
    »Wie kommst du darauf, dass ich eine Frau wäre?«
    »Weil du so schmal wie ein Weib bist.«
    Fest umklammerte sie den Griff der Waffe und erwiderte: »Ich habe eben sehr viel gefastet, um mich zu reinigen.«
    »Die Lüge ist verboten, aber die taqiya erlaubt.«
    Fragend sah sie ihn an.
    »Entschuldige, ich vergaß, du verstehst ja kein Arabisch. Du musst es lernen. Taqiya bedeutet frommes Verschweigen, um eine Gefahr abzuwenden. Aber ich bin keine Gefahr für dich. Ich bin nur ein bedeutungsloser Sufi, Staub unter den Füßen der Menschen, ein Sandkorn im Blick der Engel, für Gott, den Erhabenen, kaum noch sichtbar.«
    »Ein Sufi?«
    »Ja, ein Gottsucher. Einer, der sich auf den Weg zu Gott gemacht hat. Und sein Leben mit nichts anderem verbringt, als diesem Pfad zu folgen. Wie hinfällig ist doch

Weitere Kostenlose Bücher