Das Geheimnis der Rosenkreuzerin
verzichtete sie lieber, auch auf den blühenden Käse. Als einer der Mitreisenden wegen starker Magenkrämpfe die Reise unterbrechen musste, gratulierte sie sich zu ihrer Vorsicht. Krank zu werden, durfte ihr weniger als allen anderen Morgenlandfahrern passieren, denn dann lief sie Gefahr, dass ihr wahres Geschlecht herauskam, das die Verkleidung mehr schlecht als recht verbarg.
Schließlich erreichte sie gegen Mittag des vierten Tages das siebentorige Damaskus, das die Einheimi schen liebevoll Schmams nannten. Die fruchtbare Fluss ebene, Ghuta genannt, blühte noch einmal in satten grünen Farben, wie um Abschied zu nehmen, und der steil aufragende Djebel Quasyun, der Hausberg von Da maskus, wachte wie ein mächtiger Herrscher über die prächtige Stadt. Der Fluss Barada, dem sie schon auf ihrem Weg durchs Gebirge begegnet war und der hier behäbig in die Stadt mündete, durchzog die Stadtteile wie ein Kapillarsystem und versorgte die Bewohner mit Wasser und Kühlung. Die Stadtmauer wirkte schützend, aber nicht abweisend. Als sie unter dem mittleren Joch des dreibögigen Osttores hindurchschritt, hatte sie das deutliche Gefühl, ihrem Bruder sehr nahe zu kommen.
Über Damaskus herrschten die muslimischen Emire von Kairo mit harter Hand. Dadurch hatte die Stadt, die einmal der Mittelpunkt Arabiens war, zwar an Bedeutung verloren, gehörte aber neben Bagdad und Kairo zu den bedeutendsten islamischen Metropolen, sah man von den heiligen Städten Mekka und Medina ab, die ohnehin kein Ungläubiger betreten durfte.
Zunächst folgte sie der breiten Hauptstraße, die durch die gesamte Stadt führte. Die Luft ähnelte einem beweg lichen Lautteppich, der aus so vielen verschiedenen Spra chen gewebt war, wie es Waren auf dem Basar gab. Wer vermochte sie noch zu unterscheiden? Zuweilen glaubte Maria, ein vertrautes Wort zu vernehmen, das jedoch so gleich von fremdartigen, kehligen, gleitenden und singenden Silben vertrieben wurde. Hier ging es sprachlich zu wie beim Turmbau zu Babel, dachte sie, nur mit dem Unterschied, dass Gott diesen Ort zu lieben schien. Hoch über ihrem Haupt erscholl das typische: la il Llaha il Allah! Allahu Akbar , das sie auf ihrer Reise selbst im kleinsten Dorf vernommen hatte, natürlich mit Ausnahme der Maronitensiedlungen und der Dörfer der Drusen. Die Häuser begnügten sich oft mit einem, höchstens zwei Stockwerken. Von außen wirkten viele Häuser schmutzig, da sie nur mit ungebranntem Lehm beworfen waren. Die Türen waren niedrig, wie für Zwerge gemacht, und Fenster kamen allenfalls als viereckige Luftlöcher vor. In der Luft hing ein klebriger Geruch von verbranntem Mist und Olivenholz. Anders als Beirut wirkte Damaskus abweisend auf sie.
Mitreisende hatten sie gewarnt, der berühmten Umayyaden-Moschee, die für Muslime ähnlich bedeutend war wie eine der sieben Pilgerkirchen Roms, und auch den anderen muslimischen Gotteshäusern fernzubleiben, wenn sie nicht gesteinigt werden wollte. Ungläubige duldeten sie hier in ihren Moscheen nicht, und sie be äugten nicht muslimische Ankömmlinge daher misstrauisch. Allerorten spürte sie die beobachtenden Blicke.
Als der mächtige Ball der Abendsonne allmählich in einem glutroten Dämmer zerlief und die Gebetsrufer mit meckernder Stimme zum letzten Mal die Gläubigen aufforderten, ihr Pflichtgebet an Allah zu richten, hatte sie bereits in allen Klöstern und christlichen Kirchen vergeblich nach ihrem Bruder gefragt. War er denn niemals in Damaskus angekommen? Niemals in Beirut von Bord gegangen? Sollte ihn etwa ein zwielichtiger Schiffs herr unterwegs gefangen genommen und in die Sklaverei verkauft haben?
Müde und verzweifelt ließ sie sich auf einem Stein neben dem Kloster der Karmeliter nieder, jenem christlichen Orden, der am hartnäckigsten im Heiligen Land ausharrte, war er doch am heiligen Berg Karmel gegründet worden. Noch nie hatte sie sich so allein, so einsam, so von der Welt und vom Leben abgeschnitten gefühlt wie in diesen Stunden. Ihr wurde förmlich der Boden unter den Füßen weggezogen, und sie fiel in ein schwarzes, grundloses Loch, und fiel und fiel. Gott, großer und gerechter Gott, nimm mich zu dir, es ist genug, bat sie leise auf Hebräisch. Weit war sie gelaufen, aber jeder Weg endete für sie nur im Schmerz.
Sie erinnerte sich, dass Gott mit dem Teufel gewettet hatte, dass es Luzifer nicht gelingen würde, ihm seinen treuen Knecht Hiob abspenstig zu machen, nicht einmal dann, wenn er Hiobs Glück, seinen Reichtum,
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