Das Geheimnis der Rosenkreuzerin
gelangten schließlich zu einer Wendeltreppe, die in die Tiefe führte. Die Wand um die Treppe war mit Regalen verkleidet, in denen unzählige Bücher standen.
»Hier finden Sie das Älteste und das Allerneueste zu allen Wissensbereichen.«
Marta schielte beim Gehen auf die Buchrücken. Craig Venters A life decoded fiel ihr auf, ebenso die Bücher von Stephen Hawking über das Weltall und etwas später Einsteins Relativitätstheorie.
Am Fuß der Treppe öffnete sich der Raum zu einem modernen Lesesaal mit Computern.
»Wer liest denn all diese Bücher?«, erkundigte sich Marta zutiefst erstaunt.
»Unsere Brüder und Schwestern. Es ist ein Fehler des modernen Menschen, dass er streng zwischen rational und irrational unterscheidet. Er geht in die Länge und in die Breite, hat aber die Dimension der Tiefe verloren, weil er die Wissensbereiche trennt. Auf diese Weise verfällt er immer mehr einer Scheinwelt. Uns aber interessiert die ganze Welt. Recherche und Meditation sind doch nur zwei verschiedene Formen der Suche, die man braucht wie zwei Beine zum Gehen. Ich glaube aber, jetzt haben wir uns ein Glas Wein verdient.« Sie führte Marta zu einem Fahrstuhl und fuhr mit ihr nach oben.
Wenig später saßen sie einander mit einem Glas Rotwein vor sich am rustikalen Küchentisch gegenüber. Der Spätburgunder tat Marta gut. Er beruhigte sie tatsächlich.
»Rotwein ist ein altes Sedativum«, erklärte die Frau.
Unmittelbar darauf hörten sie Schritte im Flur, dann erschien Alfonso in der Küche und setzte sich zu den beiden Frauen. Er nahm sich ebenfalls ein Glas und erzählte von den quälenden Wochen, die er benötigt hatte, bis die erste Meditation gelungen war, und der fremden Frau war es nicht leichter gefallen.
»Wochen? Die haben wir nicht«, stellte Marta fest. »So lange brauchst du auch nicht«, entgegnete die Frau sicher und trat an ein Bücherregal. »Hebräisch kannst du sicher nicht?«, rief sie Marta fragend zu.
Marta schüttelte den Kopf.
»Englisch?«
»Ja.«
»Gut?«
»Ich habe früher bei Ärzte ohne Grenzen in Krisengebieten gearbeitet.«
»Dann sollten deine Fähigkeiten ausreichen. Es gibt leider noch keine deutsche Übersetzung des Buchs.« Die Bibliothekarin kam mit einem in blaues Leder eingeschlagenen schmalen Buch zurück.
»Techniken der …« Marta warf der Bibliothekarin einen fragenden Blick zu.
»Jorde Merkaba. Das war eine Gruppe jüdischer Mystiker im 3. Jahrhundert nach Christus. Das Besondere an ihnen war, dass sie nicht wie die anderen davon sprachen, zu Gott aufsteigen, sondern zu Gott absteigen zu wollen. Vielleicht hilft dir ihr Weg zu ihrem Selbst. Du kannst nur die verschiedenen Techniken ausprobieren, bis du deine gefunden hast.«
Eifrig hatte Marta anschließend in diesem Buch gelesen, von den sieben Himmeln, durch die die Seele zu Gott reisen sollte, um zu den sieben Thronhallen Gottes zu gelangen. Immer wieder las sie die Zeilen des Rabbis Akiba und empfand ein großes Zutrauen zu der von ihm beschriebenen Methode: »Ihr wisst vielleicht, dass viele Weise der Ansicht sind, dass ein Mann, wenn er würdig und mit bestimmten Eigenschaften gesegnet ist und die Himmelswagen und die Hallen der Engel hoch oben schauen möchte, bestimmte Übungen machen muss. Er muss eine gewisse Zahl von Tagen fasten, er muss den Kopf zwischen die Knie legen, während er die ganze Zeit über bestimmte Lobpreisungen Gottes vor sich hinflüs tert, während er das Gesicht zum Boden gewandt hat. Als eine Folge davon blickt er in die verborgensten Winkel seines Herzens, und es wird ihm scheinen, als sehe er die sieben Hallen mit eigenen Augen, während er von einem Saal zum anderen geht, um zu sehen, was sich darin befindet.«
Ja, darum ging es doch eigentlich, dass sie in die verborgensten Winkel ihres Herzens blickte, wo ihr Großvater das Wissen für sie deponiert hatte. Über dem Nachdenken fielen ihr schließlich die Augen zu.
Am nächsten Morgen setzte sie die Bibliothekarin und Alfonso darüber in Kenntnis, dass sie schweigen und fasten wolle, so wie Rabbi Akiba es vorschlug. Sie wusste nicht, ob dies die richtige Methode für sie sein würde, doch eine innere Stimme sagte ihr, diesem Weg zu folgen. Zum ersten Mal in ihrem Leben verließ sie sich vollkommen auf ein Gefühl, auf eine Intuition, die nicht von wissenschaftlichen Fakten abgesichert wurde.
Es vergingen sieben Tage, in denen sie nur schwache Gemüsebrühe zu sich nahm, das Buch über Jorde Merkaba las, im Wald spazieren
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