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Das Geheimnis der Rosenkreuzerin

Das Geheimnis der Rosenkreuzerin

Titel: Das Geheimnis der Rosenkreuzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Klausen
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nun? Hast du reiche Eltern oder nicht?«
    »Ich sage dir, wer meine Eltern sind. Aber das darf niemand erfahren! Niemand! Komm, wir suchen uns ein verschwiegenes Plätzchen.«
    Sie lockte ihn zum Bug des Schiffes, prüfte mit schnel lem Blick, ob sie auch wirklich allein waren, dann stach sie blitzschnell zu. Es bereitete ihr Mühe, den massigen Leib des Kapitäns über die Reling zu hieven. Das dumpfe Aufschlagen seines Körpers auf dem Wasser hallte in der Dunkelheit wider. Im gleichen Moment, in dem sie geduckt an der Kajüte vorbeischlich, hörte sie auch schon diese reibenden Laute der arabischen Sprache, bei der ihr Ohr nicht unterscheiden konnte, wo das eine Wort endete und das nächste begann. Vermutlich bedeuteten die gerade gerufenen Worte aber auf Deutsch so etwas wie »Mann über Bord«. Sie beeilte sich, im Laderaum zu verschwinden, denn schon bevölkerten Matrosen mit Fackeln den Bug.
    Sie hatte gerade ein sicheres Plätzchen neben einem Fass mit Pökelfischen gefunden, als sie über sich auf dem Deck aufgeregte Schritte und lautes Rufen hörte. Maria brauchte keinen Dolmetscher, um zu verstehen, dass der fünfköpfigen Besatzung klarwurde, dass ihr Kapitän über Bord gegangen war. Was lag näher, als bei dem Alkoholkonsum des Mannes zu vermuten, dass er, als er sich übergab, das Gleichgewicht verloren hatte.
    Jetzt würde die Mannschaft unter der Führung des Steuermannes das Schiff nach Beirut bringen. Und die Meeraale durften derweil mit dem alkoholgesättigten, fetten Fleisch ein Festmahl veranstalten. Diese Vorstellung gefiel ihr. Fürs Erste war sie jedenfalls sicher. Dass der kleine Mönch, wie sie genannt wurde, den Kapitän erstochen haben könnte, darauf wäre niemand gekommen.
    Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie einen Men schen getötet, das getan, was sie nur liebend gern Bischof August von Virneburg zugefügt hätte. Erschreckte es sie? Fühlte sie Schuld? Reue? Tat es ihr leid? Empfand sie Mitleid?
    Wie viele Pilger hatte der feiste Kerl wohl schon in die Sklaverei verkauft, die, statt die heilige Stadt zu sehen, ihr Leben damit beschlossen, unter gnadenloser Sonne auf dem Feld oder in finsteren Bergwerken zu schuften? Die Plackerei in ägyptischen Silberminen hielt niemand lange durch.
    Empfand sie also Mitleid? Die Rache ist mein, spricht der Herr. Andererseits hieß es auch: Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott. Nein, Schuld empfand sie nicht, es tat ihr auch nicht leid, was sie getan hatte. Mehr noch, sie würde es immer wieder tun. Immer wieder zustechen. Das wusste sie jetzt. Schließlich schickte auch Gott seine Engel mit scharfem Schwert oder Dolch bewehrt aus, um Rache zu üben. Vielleicht war sie ein solcher Engel? Bei allem, was ihr in ihrem kurzen Leben widerfahren war, grenzte es ohnehin an ein Wunder, dass sie noch am Leben war. Vielleicht war es sogar ein Wunder. Hieß es nicht in der Chronik: Und der HERR sandte einen Engel; der vertilgte alle Kriegsleute und Obersten und Hauptleute im Lager des Königs von Assur, dass er mit Schanden wieder in sein Land zog. Und als er in seines Gottes Haus ging, fällten ihn dort durchs Schwert seine Söhne, die von seinem eigenen Leibe gekommen waren.
    Niemals aber würde sie jemandem etwas zuleide tun, der unschuldig war oder nur geringe Schuld auf sich geladen hatte. Doch diejenigen, an deren Händen das Blut Unschuldiger klebte, Männer wie der Kapitän oder der Bischof, die wollte sie nicht schonen und deshalb auch kein Mitleid mit ihnen haben oder ihr Gewissen plagen. Nein, sie hatte keinen Menschen getötet, sondern ein Vieh. Ihr Mund bekam einen harten Zug bei diesem Gedanken.
    Am fünften Tag nach ihrem Auslaufen erreichten sie Beirut. Über der lieblichen Bucht ging gerade die Morgensonne auf und leuchtete über den Bauten der Hafenstadt. Deren prächtige Häuser, aber auch die solide gebauten Hütten präsentierten sich einladend: Beirut, die ewig-junge Königin der Levante. Ihr Herz schlug höher. Mit jeder Seemeile, die sie zurücklegten, kam sie ihrem Bruder näher.
    Sie erkundete die fremde Stadt, die erste orientalische, die sie kennenlernte, spazierte entlang der breiten Straße, die sich plötzlich wie ein Delta in Gassen und Gässchen verzweigte, die sich durch die Stände und Buden der Basare schlängelten. Düfte von Safran und Koriander, von Lavendel und Liebstöckel überwältigten ihre Geruchsnerven und machten sie bald benommen wie schwerer, süßer Wein. In dieser Stadt begegnete sie dem Orient in seiner

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