Das Geheimnis der Rosenkreuzerin
Lächeln zeigte sich eine kleine Eitelkeit, die sie ihm jedoch gönnte.
»Es gibt drei Weltsprachen: Latein, Griechisch und Arabisch. Die ersten beiden beherrsche ich, also liegt es doch nahe, die dritte auch noch zu erlernen.«
»Und danach müsstest du noch Persisch und Chinesisch lernen …«
»Aber nur bei dir.«
»Durchschaut«, gab er unumwunden zu. Dann tat er so, als dächte er über etwas nach und meinte schließlich: »Ein wenig Persisch könnte ich dir vielleicht tatsächlich beibringen.« Sie lächelte darüber und hielt ihn für einen Angeber, weil sie da noch nicht wusste, dass er ein Perser aus Schiras war. Aber was wusste sie überhaupt über ihn?
Am vierten Tag endlich erhoben sie sich bereits eine Stunde vor Sonnenaufgang von ihren Lagern, wuschen sich in den graubraunen Steingutschüsseln, die in ihren Zimmern standen, tranken anschließend in der Küche des Ribat schweigend Tee und brachen mit ihren Kamelen in Richtung der aufgehenden Sonne auf, deren rotglühender Rand vorsichtig das Gebirge streifte. Ihr kam es so vor, als reisten sie, um sich mit der Sonne zu vereinen.
Der Morgen atmete Zuversicht, seine Kühle erfrischte den Körper und spornte die Seele an. Nicht umsonst verglichen die Weisen den anbrechenden Tag mit dem Beginn eines großen Werks. Sie verließ Damaskus, ohne allzu viel von der Stadt mitbekommen zu haben, und drehte sich auch nicht einmal nach ihr um. Die Stätte des Zweifels und der Einsamkeit lag nun hinter ihr. Natür lich schenkte sie ihrem Herzen keinen Glauben, das zu ju beln wagte, sie habe einen Gefährten gefunden. »Schweig, liebes Herz. Einen Reisebegleiter, ja, aber keinen Gefährten«, wies der Verstand, der über sehr viele Worte verfügte, das ihm einfältig erscheinende Herz in die Schranken. Doch das Hochgefühl hielt sich hartnäckig.
Wochen würden sie nun unterwegs sein. Sie folgten der Weihrauchstraße, über die Karawanen den kostbaren Weihrauch an die Häfen der Levante brachten, von wo er nach Byzanz und ins Abendland verschifft wurde.
Ihre Reise führte zunächst über raue Gebirge und trockene Ebenen. Vor einer tiefen Schlucht ragten wie Posten drei Felsblöcke auf, als ob sie diese gleichsam bewachten. »Geistergräber nennen die Beduinen die Großen Steine, und was dahinter zum Vorschein kommt, der Weg zwischen den Felsen hindurch, nennen wir Siq , den Schacht«, brummte Hafis.
»Wohin führt die Schlucht?«
»Zu unserem Nachtlager.«
Ganz wohl war ihr nicht bei dem Gedanken, dem engen Weg zwischen den hoch aufragenden Wänden zu folgen, der geradewegs in die Unwirtlichkeit der Hölle zu führen schien. Den Namen Geistergräber hatten diese Felsblöcke vor der Schlucht gewiss nicht grundlos bekommen. Aber sie hatte keine andere Wahl, als ihm zu vertrauen. Dabei hatte das Leben sie gelehrt, den letzten Wachposten vor ihrem Herzen nie zu ignorieren und das Misstrauen niemals einschlafen zu lassen. Sorglosigkeit zahlte sich nicht aus, zumindest nicht in der Menschenwelt, die das Wort der Liebe im Mund und den Dolch des Hasses in der Hand führte. Doch wenn der Weg auch in die Hölle zu führen schien, so verschlug ihr die Schön heit der Färbung der Felswände bald schon den Atem. Manche glänzten rot oder schwarz, unterbrochen von grünen oder blauen Linien, wie Ornamente eines ge schickten Meisters. Rechts des Weges glitzerte das in Terrakottaröhren dahinschießende Quellwasser wie flüs siges Silber. Das unwiderstehliche Bedürfnis, von diesem Wasser zu trinken, ließ sie das Kamel anhalten, und sie stieg ab. Hafis lächelte und tat es ihr gleich. Kühl und frisch, ein wenig nach Sonne und nach Stein schmeckte das Wasser. Mit beiden Händen schöpfte sie es aus dem Bach und trank so ungestüm, dass es ihr rechts und links aus den Mundwinkeln floss. Und Hafis lachte wild vor lauter Freude. Im Smaragd seiner Augen spiegelte sich die Sonne. Mit der Hand fuhr sie durchs Wasser und schleuderte ihm eine Handvoll des kostbaren Nasses entgegen.
»Willst du mich taufen, kleiner Mönch?«, rief er über mütig. »So wisse, ich bin bereits getauft.«
»Auf das Leben, ja. Aber auch auf die Liebe?« Sie er schrak ein wenig vor dem Übermut ihrer Worte und setzte schnell hinzu: »Die Liebe Gottes?«
»Wenn die Menschen Gottes Geschöpfe sind, dann liebt man in den Menschen Gott«, antwortete er mit glühendem Blick.
Sie war ernst geworden, aus Furcht, eine Grenze zu überschreiten. »Reiten wir weiter!«, mahnte sie scheu und stieg wieder auf
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