Das Geheimnis der Rosenkreuzerin
sich und wo sich die Straße befand, auf der sie überfallen worden waren. Und selbst wenn sie ihn fand, womöglich in der Gewalt der Räuber, was konnte sie als Frau, ungeübt im Um gang mit Waffen, gegen die zehn Krieger schon ausrichten? Dann durchzuckte sie ein Gedanke, den sie zurückdrängte, der ihr aber dennoch das Herz verwundete: Nicht auszuschließen, dass die Suche nach ihm überflüssig war, weil man ihn getötet hatte, aus Strafe für ihre Flucht. Sie musste sich eingestehen, dass die Sorge um Hafis tiefer ging, als man sie einem Reisgefährten gegenüber gemeinhin aufbrachte. Das erstaunte sie und erschreckte sie auch gleichzeitig. Was ging da in ihr vor? Sie suchte doch ihren Bruder. Und nichts sonst …
Kapitel 23
M arta riss die Augen auf, als sei sie unsanft geweckt worden. Schnell blickte sie nach links und nach rechts, wandte sich um, doch niemand war da, außer Alfonso, der immer noch in sich versunken meditierte. Nichts wusste sie über ihn, vor einer Woche hatte sie ihn noch nicht einmal gekannt, sah man von der kurzen Begegnung auf der Beerdigung ihres Großvaters einmal ab, dennoch vertraute sie ihm. So sehr, dass sie nicht nur ihr Leben, sondern auch das Leben ihrer Kinder in seine Hand gelegt hatte. Was wäre, wenn sie sich in ihm täuschte? Bei diesem Gedanken wurde ihr schlecht. Sie stand auf, wankte den Flur entlang. Frische Luft. Dringend brauchte sie frische Luft, ihr war, als lastete das ganze Gebäude auf ihrem Brustkorb und drückte ihn langsam nieder. Schwer ging ihr Atem. Schweiß perlte silbern auf ihrer Stirn.
Als sie aus der Tür schlich, riet ihr ein Rest von Instinkt, einen Schuh zwischen Tür und Rahmen zu legen, so dass die Tür nicht hinter ihr zuschlug und sie unbemerkt zurückkonnte.
Dann stand sie unter dem enormen Sternenhimmel. Kalt wie Brillanten funkelten die Sterne herunter. Wie Seelen, die alles gesehen hatten und nichts mehr anrühren konnte, dachte sie. Sie hatten ja auch wirklich alles gesehen, verbesserte sie sich. Dann liefen ihr heiß die Tränen aus den Augen wie ein gewaltiger Strom, der nicht mehr einzudämmen war. Sie wollte das alles nicht, wollte nur raus aus dem ganzen Irrsinn und endlich ihre Kinder zurück. Wo sie wohl jetzt waren? Ob es ihnen gutging? Waren sie unverletzt? Lebten sie überhaupt noch? Sie hatte die letzte Frage herausgebrüllt. Furchtsam blickte sie sich um. Marta erschrak und biss sich schmerzhaft in die Faust der linken Hand, um nicht zu schreien. Niemand kam. Sie blieb allein. Allein unter dem Sternenhimmel. Und in diesem Moment begriff sie es. Die Sterne blinkten so kalt herab, weil sie einsam waren, auch wenn die Menschen aus Mitleid sie zu Bildern geordnet hatten, war dies doch nur eine Sache der Menschen, die aber mit den Sternen nichts zu tun hatte. Nein, die kalten Lichter im Nachthim mel fühlten sich so verdammt allein wie sie. Vielleicht sind die Sterne auch nur die Seelen einsamer Men schen, die keinen Platz im Paradies fanden, weil niemand dort auf sie wartete, dachte sie und schüttelte sich, als könnte sie so das Gefühl loswerden, das sie zu lähmen begann.
Wie schön wäre es, wenn sie die Meditation zu nutzen verstünde, um zu ihren Kindern zu reisen, doch vorerst vermochte sie nur, das Wissen aus ihrem Innern zu fördern, das ihr Großvater zuvor dort deponiert hatte. Aber vielleicht, vielleicht fand sich am Grund des Wissens der Schlüssel zu dem Ganzen. Das hoffte sie, und, wie sie meinte, nicht ohne Berechtigung. Denn das, was sie gesehen hatte, hatte ihr den Atem verschlagen. Und auf einmal wusste sie, dass der Weg Marias sie zu ihren Kindern führen würde. Sie musste nur dranbleiben, durfte nicht aufgeben, nicht schwach werden. Es lag einzig und allein bei ihr, ob die beiden gerettet werden würden. Nur bei ihr. Sie fluchte über den Fels der Verantwortung, den ihr das Schicksal aufgeladen hatte. Aber alle Verwünschungen, jedwedes Lamento nützten nichts. Das Ganze kam ihr wie eine schwierige OP vor, in der das Ergebnis auf Messers Schneide stand, in der es nur auf ihre kühle Präzision und verdammt noch mal auf ein klein bisschen Glück ankam. Für die Präzision konnte sie bürgen …
Marta wischte die Tränen ab und gab sich zwei Ohrfeigen, um ganz wach zu werden.
Sie kehrte mit schnellen Schritten zu ihrem Platz unter der Glaskuppel zurück. Alfonso saß immer noch entrückt, obwohl es ihr so vorkam, als wäre über seine Lip pen die Andeutung eines Lächelns geschwebt wie ein Schmetterling,
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