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Das Geheimnis der Rosenkreuzerin

Das Geheimnis der Rosenkreuzerin

Titel: Das Geheimnis der Rosenkreuzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Klausen
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vorsichtig. Wusste sie, welche Überraschungen sie hier erwarteten? Verlassene Städte rochen nach Staub und Mörtel. Und diese Stadt war verlassen worden. Vor geraumer Zeit be reits. Wie augenlose Höhlen starrten die dunklen Fenster löcher sie an. Die Türen machten einen unheimlichen Eindruck auf sie, als führten sie geradewegs in die Behausungen von Geistern. Erschrocken flüsterte sie: Der Herr ist mein Hirte.
    Furchtsam schaute sie sich um. Vielleicht hausten hier die Räuber, und sie lief ihnen womöglich geradewegs in die Arme. Doch dann verdrängte die Enttäuschung die Angst. Sie hatte sich aus der Wildnis gerettet – aber in eine Totenstadt. War sie den Geiern entronnen, damit ihr nun die Ghule, die Totengeister, die in Ruinen hausten, wie Hafis ihr erklärt hatte, das Blut aus den Adern saugen würden? Sie hatte noch nie einen gesehen, aber der Erzählung ihres Reisebegleiters zufolge sahen sie aus wie eine Kreuzung aus Mensch und Affe, mit schmut zig-öliger Haut, riesigen Gebissen, Kiefern wie mächtige Werkzeuge, spitzen Eckzähnen, Blutzähnen. Sie hatte das Gefühl, dass hinter ihr ein Schatten mit beängstigender Geschwindigkeit von einem Haus ins nächste huschte. Der leichte Wind verwandelte sich plötzlich in einen Sturm, der um die Kanten der Häuser und Säulen pfiff. Sein Rauschen klang wie das Tosen großer Meereswellen.
    Das Gemisch aus Luft und Staub, das er vor sich hertrieb, nahm ihr den Atem. Dieser Wind schien zu leben, ja sogar organisch zu sein. Wieder hatte sie das Gefühl, dass sich hinter ihr ein Wesen regte, sie zog das Messer und wandte sich blitzschnell um, doch außer aufgewirbeltem Staub war da nichts vor ihr. Ein Ächzen, das die Straße erfüllte, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Dann sah sie etwas Schwarzes auf sich zukommen, riesig und massig, wie eine Walze. Ohne nachzudenken, flüchtete sie in den nächsten Hauseingang und prallte gegen einen Körper.
    Augen starrten sie an. Sie hob das Messer und wollte bereits zustoßen, da vernahm sie eine vertraute Stimme.
    »Ich bin es!«
    »Hafis?«
    »Ja.«
    »Haben sie dich laufenlassen?«
    »Das ist eine längere Geschichte.«
    Ihr fiel ein, dass Hafis ihr über die Ghule auch erzählt hatte, dass sie mit Vorliebe die Gestalt geliebter Menschen annahmen, um ihre Opfer zu narren. Unwillkürlich wich sie zurück und hielt den Dolch in Bereitschaft.
    »Woher weiß ich, dass du kein Ghul bist?«
    »Weil ich dich sonst schon überwältigt hätte. Meinst du, du kannst einen Toten töten?« Das klang zumindest logisch.
    »Sprich Persisch mit mir!«
    Selbst durch die Dunkelheit konnte sie sein Lächeln spüren. Dann begann er:
    »Ich sag’ es offen, und ich sag’ es freudig:
    Leibeigener der Liebe bin ich und
    Von dieser und von jener Welt befreit …«
    Wieder übersetzte er die Verse ins Lateinische, und da wusste sie, dass er es wirklich war. Alle Furcht und alle Sorge, alles Leid und alle Traurigkeit fielen von ihr ab, und sie umarmte ihn wild, hielt aber plötzlich erstaunt inne. Ihre Hände berührten nackte Haut.
    »Ja, ich bin nackt. Sie haben mir nicht einmal das Hemd gelassen. Als ich vom Kamel gefallen war und dich fliehen sah, habe ich begonnen, meinen Atem zu kontrollieren. Ich ließ ihn flach und immer flacher werden, bis es für Außenstehende so aussah, als hätte ich aufgehört zu atmen. Mein Atem wurde unhörbar, mein Puls unfühlbar. Es ist mir sogar gelungen, meine Köpertemperatur zu senken. Die List ist jedenfalls geglückt. Die Kerle haben mich begafft und befühlt, ich aber war wie ein Stück totes Holz. Der ist hinüber, meinte der Anführer. Dann haben sie mich ausgezogen und mir alles abgenommen, was ich besaß, das Kamel, die Kleidung, das Geld, den Dolch, unser Gepäck. Als sie weder zu hören noch zu sehen waren, bin ich ins Leben zurückgekehrt und habe durch die Berge hindurch ein Blinken entdeckt, dem ich folgte. So gelangte ich hierher.«
    Maria wickelte ihren Turban auf und gab den Stoff Hafis, dass er sich daraus zumindest einen Lendenschurz machen konnte. Dann erkundigte sie sich, weshalb er sie verfolgt und sich versteckt habe, wenn sie sich umdrehte.
    »Das war nicht ich. Ich habe hier geschlafen, bis der Sturm mich geweckt hat und ich aufstand, um nachzuschauen, was draußen vor sich geht.«
    »Aber wer war es dann?«
    »Ein Tier vielleicht.«
    Wenig von der Erklärung überzeugt, ließ sie es dennoch auf sich beruhen. Hafis erklärte ihr, dass die unheimliche schwarze Walze, die

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