Das Geheimnis der Rosenkreuzerin
Männer, die zu ihm kommen, versetzt er ins Paradies – fragt mich nicht, wie der alte Zauberer das macht –, und wenn sie wieder auf die Erde kommen, sehnen sie sich nur noch danach, so schnell wie möglich in die himmlischen Gärten zurückzukehren. Er verspricht ihnen das, wenn sie seine Aufträge bedingungslos erfüllen. Jeden Feind, jeden, von dem er sich beleidigt fühlt oder der seinen Plänen entgegensteht, lässt er durch diese jungen Leute ermorden. Diese jungen gebildeten Männer erschleichen sich die Gunst ihres Opfers, verbringen manchmal mehrere Monate, zuweilen sogar Jahre in der Nähe der hochgestellten Persönlichkeit, die Hasan-i-Sabah aus dem Weg räumen lassen will, bis sie vertraut genug mit ihrem Opfer sind, um es zu erstechen oder zu erschlagen. Wenn sie den Anschlag ausgeführt haben, fliehen sie nicht, sondern lassen sich festnehmen und hinrichten, denn dadurch kehren sie für immer in das Paradies zurück, das sie bei Hasan-i-Sabah kennengelernt und in das sie sich so verliebt haben, dass es sie an keinem anderen Ort auf der Welt hält.«
»Assassinen nennt man diese Meuchelmörder im Abendland! Ich habe von ihnen gehört«, rief Maria.
Mansur lächelte. »Ja, ihr nennt sie Assassinen, weil ihr glaubt, dass sie Haschisch zu sich nehmen und das Paradies, das sie sehen, nur ein Rauschgifttraum ist. Ich weiß nicht, ob es so einfach ist. Aber wie Hasan-i-Sabah es auch anstellt, er macht es perfekt. Ihr müsst wissen, er ist ein schwarzer Sufi, einer, der den Weg gegangen ist und kennt. Vergesst das nie. Er ist bestens mit uns vertraut. Der schlimmste Feind ist der, der einmal ein Freund war. Nun verhält es sich so, dass die Weisen unter ihren vielen Kenntnissen über ein paar Geheimnisse verfügen, in deren Besitz Hasan-i-Sabah kommen will, weil sie in seinen Händen ein Quell unaussprechlicher Macht wären. Das darf niemals geschehen. Deshalb haben die Weisen Damcar schweren Herzens aufgegeben, weil sie dort nicht mehr sicher waren, und haben sich in die Verborgenheit zurückgezogen. Dort sind sie unauffindbar.«
»Bist du einer der Weisen?«, fragte Maria.
»Nein, nur einer ihrer unwürdigen Diener. All die Pracht hier, der dummdreiste Kaufmann, den ich euch vorgespielt habe, ist nur meine Tarnung. Verzeiht, dass sie nicht etwas subtiler ausfiel.«
»Für welche Geheimnisse interessiert sich denn der Alte vom Berge?«, hakte Hafis nach.
»Dafür ist es noch etwas zu früh, mein persischer Freund. Ihr müsst nach Fès weiterreisen, dort halten sich einige der Weisen auf und auch Christian.«
»Wo liegt Fès?« Fragen und Aufstehen waren für Maria eins. Sie wollte nicht noch mehr Zeit verlieren.
»In Nordafrika, im Maghreb, gegenüber von Spanien«, erklärte ihr Hafis, der sich ebenfalls erhoben hatte.
»Dann wollen wir aufbrechen. Wir sind schon viel zu lange in Kairo.«
»Kannst du denn mit deinem Schwert umgehen, Maria? Wolltest du nicht deine Kenntnis der Heilkünste erweitern, Hafis?«, fragte der Kaufmann. Er bat sie, sich wieder zu setzen und nach Herzenslust zu essen und zu trinken, da sie all ihre Kräfte für die Gefahren, die ihnen bevorstanden, noch brauchen würden. Mansur erklärte ihnen, dass die Weisen sie in Fès erwarteten, aber erst, wenn es so weit war, wenn Hafis und Maria in Kairo alles erlernt hätten, was erforderlich war.
Lernen zu sollen, wo sie nur so schnell wie möglich zu ihrem Bruder wollte, stellte Maria auf eine quälende Geduldsprobe. Doch der Weg zu ihm führte nur über den Erwerb der Kenntnisse.
Die nächsten Tage verliefen gleichförmig. Während Maria von morgens bis abends im Schwertkampf unterwiesen wurde, vertiefte Hafis unter Mansurs Anleitung seine medizinischen Kenntnisse, nachmittags standen Atem- und Meditationsübungen auf dem Programm. Und zum Ausklang tafelte man gemeinsam und sprach über die Welt.
So erfuhr Maria, dass Azrael tatsächlich für sie bestimmt war.
»Und warum hast du dafür gesorgt, dass wir auf keinem Schiff mitkamen, sondern dieses elende Segelbötchen nehmen mussten?«
»Weil ihre eine wichtige Erfahrung noch machen musstet«, antwortete Mansur hintersinnig lächelnd.
»Dann habt ihr uns also ständig auf die Probe gestellt?«
»Jede Reise ist eine Probe, denn sie ist auch immer ein Weg der Seele zu sich selbst.«
Für ihre Geduld wurde Maria reichlich entschädigt, denn was die beiden nach dem Nachtmahl anstellten, blieb ihnen überlassen, lagen doch ihre Zimmer nicht nur nebeneinander, sondern waren
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