Das Geheimnis der Salzschwestern
herum und starrte ihm direkt in die Augen. Whit hatte sie also nie geliebt. Damit waren sie dann wohl quitt. »Die Marsch bekommst du nur über meine Leiche«, hauchte sie. Sie musste sich wirklich zusammenreißen, um ruhig zu bleiben und gefasst zu klingen.
Whit lächelte, aber nicht richtig. Nicht mit den Augen. Er löste seine andere Hand von Claires Schulter, und die Stelle, an der sie gelegen hatte, fühlte sich eiskalt an. »Führ mich nicht in Versuchung«, knurrte er.
Traurig und trotzig gab Claire einen weiteren Löffel Zucker in ihren Kaffee und rührte um. Es war Anfang Frühling, die erste Woche der Fastenzeit, und bei Einbruch der Dämmerung würde der Himmel vermutlich genauso viele Reize zu bieten haben wie eine verbeulte Feldflasche.
Sie saß im Leuchtturmrestaurant in der hinteren Nische und war wie üblich die erste Kundin des Tages. Durch die Fenster spähte sie zur Straße hinaus, entdeckte aber nichts außer ihrem eigenen Spiegelbild: ein harter Geist, projiziert auf eine leblose Oberfläche. Als sie gerade den Blick senken wollte, zog sich in ihrer Magengrube alles zusammen, und sie schaute noch einmal hoch, um sicherzugehen, dass ihr weder die Augen noch das Herz einen Streich gespielt hatten. Es war kein Streich. Draußen auf der Bank Street marschierte Ethan Stone auf den Imbiss zu.
Ihr Herz klopfte plötzlich so laut, dass sie befürchtete, es könnte die Scheiben zum Bersten bringen, während sie in der Sitznische ganz nach hinten rutschte. Sie sah zu, wie Ethan vor Kälte erschauderte und seinen Mantel schloss, um dem unerschütterlichen Frühlingswind zu trotzen. Er sah älter aus, als sie erwartet hätte, er trug das Haar sehr kurz, und seine Lippen wirkten entschlossener. Außerdem war er verfroren, klamm und hungrig, und ihr wurde augenblicklich klar, wie viel ihr sein Spiegelbild im Fenster noch bedeutete. Sie setzte sich aufrechter hin und beobachtete, wie er das Leuchtturmrestaurant in Augenschein nahm. Noch hatte er sie nicht bemerkt. Sie hoffte, er würde nicht hereinkommen – sie war nicht auf eine Begegnung mit ihm vorbereitet, vor allem nicht in aller Öffentlichkeit –, aber die Kälte hatte längst gewonnen, Ethan schob sich herein, und die Türklingel bimmelte.
Jetzt öffnete er den Mantel und stampfte sich die Feuchtigkeit von den Stiefeln. Er suchte nach den Messinghaken links neben der Tür und entdeckte dabei Claire, die sich in ihrer Nische über ihre Kaffeetasse beugte. Er erstarrte, war ebenso verblüfft wie sie, dann aber lächelte er, und Claire sah zu ihrem Bedauern, dass seine Augen noch immer genauso leuchteten wie früher.
»Darf ich?« Er wies auf die Bank ihr gegenüber, und sie zögerte.
»Hallo, Ethan«, brachte sie schließlich mühsam hervor. Sie sah, dass er rot wurde und sich den Priesterkragen zurechtrückte. Ihr kam die Frage in den Sinn, ob er sich wohl nackt und schutzlos fühlte, wenn er den abends abnahm. Vielleicht war er ja erleichtert, wenn er ihn morgens wieder umlegen konnte. Dann schalt sie sich selbst dafür, sich Ethan bei Nacht vorzustellen.
»Claire«, krächzte er und reichte ihr die Hand. Als sich ihre Handflächen berührten, wischte der Körperkontakt mit einem Mal die vergangenen Jahre einfach so weg. Wenn sie jetzt die Augen geschlossen hätte, hätte sie schwören können, dass sie wieder achtzehn waren und sich gleich unter dem zerfurchten Birnbaum in die Arme schließen würden.
Sie sah auf und bemerkte, dass Cutt sie vom Tresen her beobachtete. Ihr war aufgefallen, dass er meistens bei der Kasse herumhing, wenn er nicht kochte – vermutlich, um den neuesten Tratsch mitzubekommen, bei dem es ja oft genug um sie ging. Sie zog die Hand zurück und ließ sie auf die Tischplatte sinken, wo sie allein und ganz unschuldig ruhte. Ihr diamantenbesetzter Ehering funkelte im Licht, ein blitzender Kreis, so hell wie jedes Leuchtturmfeuer.
Sie legte die Hände in den Schoß. »Es tut mir leid, dass dein Vater gestorben ist«, sagte sie, obwohl das gelogen war. Das hatte niemand in der Stadt bedauert, nicht einmal Ethans Onkel Chet, der Merretts Boot übernommen und seinen Fang damit verdoppelt hatte.
Ethan seufzte. »Danke. Vielleicht vermisst ihn ja der Ozean, aber ich bezweifle sehr, dass ihm hier sonst noch jemand nachtrauert. Bei meinem Onkel läuft es allerdings gut. Er hat mir schon meinen alten Job wieder angeboten.« Claire wurde rot, und genau in diesem Moment erschien Cutt mit der Speisekarte und blieb am Tisch
Weitere Kostenlose Bücher