Das Geheimnis der Salzschwestern
fürchtete sie, dass ihr doch so sorgsam eingerichtetes Leben in etwa so sicher und beständig war wie eine Reihe Dominosteine auf unebener Erde. Sie schob ihre Tasse in die Mitte des Tisches und stand auf. Vor dem Fenster sah sie Icicle mit den Hufen stampfen und große Dampfwolken ausstoßen. Ihre Brust fühlte sich an, als lasteten Pflastersteine darauf, und ihre Stimme klang schriller als sonst. »Ich muss jetzt los.«
»Warte.« Ethan versuchte, seine Hand auf die ihre zu legen, sie zog die Finger aber gerade noch rechtzeitig weg und sah sich nicht zu ihm um, als er ihr nach draußen folgte. »Herr im Himmel«, murmelte er leise und sah zu, wie Claire sich in den Sattel schwang und sich den Zopf hinten in die Bluse schob. Noch bevor sie das Pferd auf die Straße lenken konnte, wieherte es, bäumte sich auf, trat mit den Vorderhufen und verfehlte dabei ganz knapp Ethans Brust.
»Icicle! Nein!« Claire setzte sich im Sattel zurecht, zog dann an den Zügeln und brachte das Tier wieder zurück auf den Boden. Ein weiterer kurzer Kampf, ein subtiler Schenkeldruck, und dann stand es ruhig da, schnaubte und zitterte unter ihr.
»Das tut mir so leid«, rief sie zu Ethan hinüber. »Der ist sonst gar nicht so. Alles klar bei dir?« Eingesperrt hinter ihren Zähnen fühlte sich ihre Zunge geschwollen an. Ethan nickte, aber bevor er noch etwas erwidern konnte, lag ein Funkeln in ihren Augen. »Du solltest besser aufpassen. Prospect ist nicht mehr so ein verschlafenes Nest wie früher. Jetzt tauchen hier von überall unerwartet Autos auf, vor allem im Sommer.«
Sie konnte sehen, dass Ethan gerne noch etwas gesagt hätte, wollte ihm dazu aber lieber nicht die Gelegenheit geben. Sie schnalzte mit den Zügeln und kehrte nach Plover Hill zurück, heim zu ihrem Ehemann mit den strengen Gepflogenheiten, zu den stillen Räumen und dem Ticken der Uhr im oberen Flur, kurz gesagt also zu dem Alltag ihrer Ehe, die sie sich nie so vorgestellt hatte, aus der es aber jetzt kein Entrinnen mehr gab.
Die Turners waren auf dem Weg zu Ethans erster Messe in St. Agnes, als Claire im Auto einen Ohrring entdeckte, der nicht ihr gehörte. Sie waren spät dran, und Whit raste, riss das Steuer hastig und ruckartig herum. Claire hasste das. »Kannst du nicht ein bisschen langsamer fahren?«, bat sie, Whit ignorierte sie jedoch, also streckte sie die Hand aus, um Musik anzustellen, hielt dann aber inne, als sie zwischen ihrem Sitz und der Gangschaltung etwas Glänzendes entdeckte.
Sie warf einen Blick zu Whit hinüber, um sicherzugehen, dass er es nicht bemerkte, und zog dann eine schlichte Kreole hervor, nicht zu groß, nicht zu teuer, und ganz bestimmt nicht von ihr. Sie ließ sie einen Moment lang auf ihrer Handfläche funkeln und schob sie dann in ihre Tasche, bevor Whit den Blick von der Straße löste. Dabei blieb ihre Miene die ganze Zeit völlig entspannt, trotz der Mordgelüste, die sie überkamen. Von der Untreue seines Ehemanns zu erfahren war keine Sünde, das wusste Claire wohl, das Verlangen, ihn umzubringen, aber schon.
Sie lehnte sich im Ledersitz des Wagens zurück und wünschte sich, sie wäre zu Hause und würde ihre weichste Reithose mit einer dicken Arbeitsjacke und einem schäbigen Halstuch tragen. Dann würde sie jetzt ihr Haar aus der komplizierten Hochsteckfrisur schütteln und zu einem Zopf flechten, mit einer Hand nach einem abgenutzten Reithelm greifen und mit der anderen nach ihren Handschuhen, die Küchentür aufstoßen und sich den Frühlingswind ordentlich um die Wangen pusten lassen. Stattdessen ließ sie sich von Whit die Autotür öffnen, als sie in St. Agnes ankamen. Sie stieg aus, strich sich über den Rock und folgte ihm dann die Kirchenstufen hinauf, so wie sie es schon hundertmal zuvor getan hatte. Sie kniete sich neben ihn, faltete die Hände mit trügerischer Gemütsruhe und senkte das Haupt, ein Beispiel an Sittsamkeit.
Aus dem Epizentrum ihrer furchtbaren Ruhe erlebte sie die Messe wie eine Schlafwandlerin mit. In Andacht versunkene Gesichter verrieten immer so einiges, dachte sie, vor allem, wenn der Priester jung war und gut aussah, und jeder wusste, dass er einst in die reichste Frau der Stadt verliebt war. Verliebt gewesen war, korrigierte sich Claire. Denn jetzt liebte sie offenbar niemand mehr, nicht einmal ihr Mann, und sie waren auch nicht halb so reich, wie alle immer dachten. Sie hob den Kopf und zwang sich, den ins Gebet vertieften Ethan anzusehen.
Seine Miene war entrückt, so als ob die
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