Das Geheimnis der Salzschwestern
Dufflecoat über, stieg schnell in ein Paar Gummistiefel und stieß dann die Tür zur Diele auf. Und da war es wieder – ein schräges Jaulen, wie von einem verwundeten Fuchs.
»Whit?«, rief sie in die Dunkelheit hinein, aber es kam keine Antwort. Sie verfluchte ihn, als sie zur Koppel lief, um nach Icicle zu sehen. Was für ein Mann ließ denn seine schlafende Frau allein, um sich mit einer anderen zu treffen? Ging er deshalb fremd, weil Claire die Babys verloren hatte? Das alles wollte sie Whit fragen, wenn sie ihn fand, und dann hätte auch sie ihm noch so einiges zu sagen.
Sie näherte sich dem Stall und wollte gerade aus dem Schatten heraustreten, als ihr zwei Dinge auffielen. Erstens war draußen das Licht eingeschaltet, und zweitens hatte jemand die Stalltür so unbedacht offen stehen lassen, wie man einen Penny wegwarf.
Als sie Icicle auf der dunklen Koppel nirgendwo entdecken konnte, ging sie auf die Stalltür zu, um sie zu schließen. Aber noch bevor sie sie erreichte, ließen sie zwei lauter werdende Stimmen innehalten. Und eine davon gehörte zu Whit.
»Das musst du aber«, drängte er. »Du hast überhaupt kein Recht …« Eine panische, von Angst erfüllte weibliche Stimme antwortete ihm atemlos.
»Wir könnten zusammen durchbrennen. Wir gehen irgendwohin und fangen noch mal ganz von vorn an. Bitte, ich hab das doch nicht geplant. Ich kann nirgendwo hin. Mein Vater hat mich gerade rausgeschmissen.«
»Halt den Mund!«, knurrte Whit voller Zorn. »Ich gehe nirgendwo mit dir hin. Und ich werde auch nicht zulassen, dass eine kleine Schlampe wie du meinen guten Ruf ruiniert. Der ist das einzig Wertvolle, was mir noch geblieben ist. Wenn du den kaputt machst, dann machst du alles kaputt. Und das lasse ich nicht zu, verstanden?«
»Und ich dachte, du hättest vielleicht gern ein …«, begann das Mädchen, aber er ließ sie nicht ausreden.
»Nicht so. Nicht mit jemandem wie dir …« fauchte Whit, dann verstummte er, und Claire konnte nichts mehr hören, nur noch ein Schaben und dann furchtbare, bleierne Stille.
Auf Zehenspitzen schlich sie sich näher an die geöffnete Tür heran und blickte mit zusammengekniffenen Augen in die Dunkelheit. Dort sah sie Whit, der eine junge Frau umarmte, aber irgendetwas stimmte an dem Bild nicht. Das Mädchen bewegte sich nicht. Claire trat näher und stellte fest, dass einer ihrer Füße unter der Frau wegrutschte. Claire begriff, dass die junge Frau am Ersticken war. Und dass Whit derjenige war, der sie erwürgte.
Claire konnte sich selbst nicht erklären, was nun über sie kam. Sie vermutete nur, dass es das sein musste, was Jo empfunden hatte, als sie Claire aus den Flammen gezogen hatte. Es war, als brannte sie am ganzen Körper, ihre Haut war so heiß, dass sie zu frösteln begann, und ihre Ohren wurden von einem rauchigen Dröhnen erfüllt. Sie spannte die Arme an, ihre Muskeln zitterten. Irgendwo tief in ihrem Inneren lehnte sich die wahre Claire zurück und sah zu, was diese neue Version von ihr wohl tun würde.
Sie handelte, ohne nachzudenken – griff nach der Schaufel in der Ecke und stürmte mit erhobenen Armen auf Whit zu. Ein Schrei, den sie gar nicht als den ihren erkannte, entfuhr ihren Lippen. In diesem Moment war sie wieder durch und durch eine Gilly: Ihre Haare leuchteten rot, der Zorn floss durch ihre Adern, ihr Ziel war klar, und sie hatte nichts mehr zu verlieren.
Entgeistert ließ Whit von dem Mädchen ab, das als Bündel zu seinen Füßen in sich zusammensackte. Er drehte sich zu Claire um und wich ihr aus, so dass nur der Rand der Schaufel auf seinen Schädel niederkrachte. Das Geräusch von Metall auf Knochen war widerwärtig, und dann erklang ein zweiter dumpfer Schlag, als Whit zu Boden ging. An seinem Ohr quoll Blut hervor. Claire stand über ihm und fragte sich, ob sie noch einmal zuschlagen sollte, doch da stöhnte das Mädchen auf einmal, und seine Beine zuckten. Erst jetzt erkannte Claire, dass es Dee Pitman aus dem Leuchtturmrestaurant war. Cutts Tochter. Gerade mal achtzehn, wenn überhaupt.
»Gott sei Dank«, keuchte die und richtete sich auf dem Ellbogen auf, dann fielen ihr die Augen wieder zu und sie sank erneut zu Boden.
Icicle wieherte und scharrte angesichts des ganzen Theaters aufgeregt in seiner Box. Bei diesem Geräusch kam Claire endlich wieder zu sich und war mit einem Mal wieder Claire Turner, hatte einen so kühlen Kopf wie an dem Morgen ihrer Hochzeit mit Whit, als sie sich dem Namen Turner mit Leib und Seele
Weitere Kostenlose Bücher