Das Geheimnis der Salzschwestern
grün der manchmal aussieht. Ich frage mich, ob ich da draußen noch immer so standfest wäre wie früher.«
»Ich dachte, dem Fischerleben hättest du ganz bewusst abgeschworen.«
Ethan lachte. »Hab ich auch. Aber ein bisschen von dem alten Seebären steckt wohl noch in mir.« Er wandte sich zu ihr um. »Und was ist mir dir? Hast du je bereut, dem Salz den Rücken gekehrt zu haben?«
Claire wich seinem Blick aus. Wenn es um die Kapitel ihres Lebens ging, die sie nun bereute, wusste sie gar nicht, wo sie beginnen sollte. Am Anfang oder am Ende der Liste? Vielleicht in der Mitte, dachte sie, denn wenn sie ganz vorne angefangen hätte, wäre Ethan der erste Punkt gewesen. »Nein«, behauptete sie.
Natürlich wusste er nicht, dass sich der Kreis gerade geschlossen hatte und sie wieder dort war, wo alles begonnen hatte. Sie fragte sich, ob er sie mit anderen Augen sehen würde, wenn ihm erst zu Ohren kam, was in Prospect so über sie geredet wurde. Falls er das alles nicht schon längst gehört hatte. Ansonsten konnte er es auch genauso gut von ihr erfahren. Sie atmete tief durch und ließ den Kopf hängen.
»Okay, manchmal frage ich mich schon, ob ich die richtigen Entscheidungen getroffen habe«, gab sie zu, und dann entfuhr ihr auf einmal ein unerwartetes Geständnis: »Ich hatte vor einiger Zeit eine Fehlgeburt«, hörte sie sich selbst sagen. »Meine vierte.« Diesen Teil der Geschichte hatte sie Ethan gar nicht verraten wollen – zumindest nicht so plötzlich und unvermittelt, aber die Worte purzelten einfach aus ihr heraus, wie ein Teller, der aus dem Küchenschrank fällt.
Ethan trat einen Schritt näher an sie heran und streckte den Arm aus, so, als wolle er nach ihrer Hand greifen, schien es sich dann aber anders zu überlegen. »Das tut mir so leid, Claire.« Ihr war klar, dass diese Worte von Herzen kamen, aber handelte es sich hier um das Bedauern des Priesters oder des Mannes, der sie einst geliebt hatte? Eigentlich war es nicht von Bedeutung, ihr war es aber wichtig. Sie ließ das Kinn auf die Brust sinken. Wie oft hatten sie beide schon zusammen an genau dieser Stelle gestanden? Und wie lange hatte sie sich schon nicht mehr so sicher gefühlt?
Wenn sie schon beichtete, dachte sie, dann konnte sie genauso gut alles erzählen, egal ob der Empfänger nun menschlicher oder göttlicher Natur war. Immerhin wollte sie ihm einige Dinge bereits seit Jahren sagen, und wer wusste schon, ob sich ihr dafür noch einmal eine andere Gelegenheit bieten würde? Aus Gewohnheit senkte sie die Stimme – im Turner-Haus hatten die Wände nämlich Ohren. Es war kein Gebäude, in dem man ein Geheimnis für sich behalten konnte. Claire starrte Ethan an. »Es tut mir so leid, dass ich dir nie die Gelegenheit gegeben habe, dich vernünftig von mir zu verabschieden. Das hätte ich wirklich tun sollen. Nach dem Feuer war ich einfach so …«
Er kam näher. »Claire, wir waren doch noch so jung. Es war nicht richtig, wie ich dich damals behandelt habe.« All die Jahre hatte sie auf diese Worte aus seinem Mund gewartet, aber jetzt, wo sie endlich ausgesprochen waren, reichte ihr das nicht. Sie wollte von ihm hören, dass es ein Fehler gewesen war.
Er fuhr mit dem Zeh durch den Sand. »Und ich fühle mich auch für das Feuer mitverantwortlich. Wenn du nicht meinetwegen so außer dir gewesen wärst, hättest du das Streichholz vielleicht nie angezündet.«
Claire schwieg und dachte an die furchtbare Panik, die sie erfüllt hatte, als in der Scheune plötzlich die Temperatur gestiegen und Asche um sie herumgewirbelt war.
Ethan räusperte sich. »Also, wie geht es Jo?«
Claire zuckte mit den Achseln. Obwohl sie jetzt nur noch eine dünne Wand voneinander trennte, war ihre Schwester für sie immer noch wie eine Fremde. Sie biss sich in den Daumen. Ethans Schenkel strahlten Wärme aus. Und dann griff sie, ohne groß darüber nachzudenken, nach hinten und löste ihr Haar. Sie musste daran denken, wie Ethan früher mit den Fingern durch ihre Mähne gefahren war und wie er ihren Nacken umfangen hatte, wenn er sich zu ihr heruntergebeugt und sie geküsst hatte – mit Lippen so weich wie die Fußsohle eines neugeborenen Kindes. Sie lehnte sich weiter vor, Ethan aber räusperte sich und trat einen Schritt zurück, als hätte er ihre Gedanken gelesen.
Beschämt schob sie sich das Haar in den Kragen. Dann scharrte sie mit den Füßen im Sand herum und überlegte fieberhaft, was sie nun sagen sollte, aber in ihrem Kopf war für
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