Das Geheimnis der Salzschwestern
Gefühl, dass die Kleine wirklich hierhergehörte. Ihr war aufgefallen, dass Dee jetzt schon genau herausgefunden hatte, wo sie auf der Veranda fest auftreten konnte und wo es im Holz morsche Stellen gab. Sie wusste auch, dass sie die Tür mit dem Fliegengitter einfach zuschlagen konnte, weil Jo eine Feder angebracht hatte, die sie im letzten Moment auffing. Jo sah dabei zu, wie sie aus ihren Segeltuchturnschuhen schlüpfte und sie mit der gleichen Ungeduld wie Claire im Flur in die Ecke pfefferte. Dee wusste, dass sie die Schlüssel des Trucks in einer Schale auf dem verstummten Klavier im Flur aufbewahrten, sie wusste, in welchem Schrankfach der Reis und wo die Haferflocken standen, und wie lange man das Wasser laufen lassen musste, damit es erst warm und dann kochend heiß wurde, bevor die Temperatur wieder etwas sank.
Sie lernte nach und nach, wie die Dinge hier draußen abliefen – konnte mittlerweile sogar verschiedene Salztypen unterscheiden –, aber für das Geheimnis der Geschichte der Marsch, ihr pulsierendes Herz, war Dee vermutlich noch immer blind, fürchtete Jo. Vielleicht war das im Moment auch das Beste, überlegte Jo. Manches sollte man lieber ruhen lassen.
Claire war in die Stadt gefahren, auf dem Küchentisch lag aber ein Zettel von ihr: »Zimtkuchen im Ofen, Zeitschaltuhr ist an. Vor dem Schneiden abkühlen lassen. Bin um fünf zurück. C.«
Jo schüttelte das gewonnene Salz in einen Glaskrug und stellte ihn für Claire beiseite. In letzter Zeit hatte ihre Schwester dem Salz lauter verrückte Zutaten hinzugefügt: Vanilleschoten, Lavendelzweige und Rosenblütenblätter. Und dann benutzte sie dieses Salz für noch ungewöhnlichere Gerichte: Pudding, Eis, alle möglichen Brotsorten. Jo war sich nicht sicher, ob sie das Salz, mit dem Claire da herumexperimentierte, überhaupt loswerden würde, aber Claire hatte die Etiketten für Jos Säckchen optimiert und ihr versichert, dass sie dafür das Doppelte verlangen konnte. »Jetzt ist es nicht mehr nur ein lokales, in Handarbeit erstelltes Produkt, jetzt ist es ein lokales, in Handarbeit erstelltes Gourmet produkt«, hatte sie erklärt und sich eine rote Strähne aus den Augen gewischt. »Vertrau mir, die Touristen werden ganz verrückt danach sein. Ich hab schon bei drei Läden in Hyannis angerufen, und die können es gar nicht abwarten, unser Produkt ins Sortiment aufzunehmen.«
Jo hatte nur mit den Achseln gezuckt. Nach der Mitgliedschaft im Country Club, all den Dressurturnieren und den langen Jahren im riesigen eleganten Turner-Haus tat Claire sich mit der großen weiten Welt leichter als sie. Draußen bei der Salt Creek Farm war die Küste noch immer wild und rau. Obwohl Jo ganz klar wusste, dass sie noch nicht dauerhaft auf Claire zählen konnte, begann tief in ihrem Inneren ein kleiner Hoffnungsschimmer zu erglühen. Mit der Hilfe bei der Arbeit und ein paar neuen Ideen konnte das Gut vielleicht doch noch gerettet werden. Jo machte den Herd an und stellte einen Kessel für den Tee darauf.
Dee rieb sich mit der Hand über den Bauch und sah zum Küchenfenster hinaus. »Seit ich hier bin, hat sich die Marsch so verändert. Und wer weiß, was noch alles passiert, wenn dieser kleine Kerl erst da ist?«
Entsetzt und alarmiert beugte Jo sich vor: »Du glaubst also, es wird ein Junge?«
Dee presste die Lippen aufeinander, konnte das Lächeln aber nicht unterdrücken. Jos Herz begann heftig zu schlagen.
»Oh, ich weiß es auch nicht, aber ich hab so ein Gefühl.«
Jo überschlug die Beine und versuchte, ihre Bestürzung zu verbergen. »Was hast du Whit über dieses Kind erzählt?«
»Nichts, nur, dass es unterwegs ist. Warum?«
Jo beäugte Dee. Die Kleine hatte die Augen weit aufgerissen und blickte unschuldig drein, ihre Mundwinkel waren aber angespannt, als erwartete sie schlimme Neuigkeiten, und Jo wusste, dass die wirklich Unschuldigen nie mit schlechten Nachrichten rechneten. Deshalb waren sie ja so unschuldig.
»Dee«, begann Jo langsam und ein wenig zu laut, so als spräche sie mit einem begriffsstutzigen Ausländer, »eins musst du mir versprechen, versprich mir, dass du dich nicht mit Whit in Verbindung setzt, und dass du ihm nichts über dieses Kind erzählst. Du hast ja keine Ahnung, wozu er fähig ist.«
»Jetzt klingen Sie schon wie Claire.«
Jo zog die Nase kraus. Sie musste daran denken, dass sie Dee und Claire an Ostern zusammen durch die Marsch hatte stampfen sehen, als wollten sie gemeinsam ein Geheimnis in Grund und
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