Das Geheimnis der Salzschwestern
Rändern der Marsch in Schubkarren und brachten es zur Lagerung in die Scheune, mussten aber gleichzeitig auch noch die Becken abschöpfen. Und dann brach ohne jede Vorwarnung plötzlich schnell und unerbittlich der Herbst über sie herein. Die wenigen Bäume in der Stadt wurden gelb und die Seidenpflanze spröde und blass. Der Moosbeerensumpf an der Küste verfärbte sich leuchtend rot, und in der Morgenluft kreuzten sich verwundert Vogelschwärme – solche, die gen Süden zogen, und die Wasserläufer und Möwen, die dem harten Winter am Kap trotzen würden. Das letzte Sommergras starb ab, feuchter Nebel waberte über den Salzbecken, und die Kälte machte alles spitz und hart.
Claire war von Obstpasteten auf Gewürzkuchen umgestiegen, und von Limonade auf heißen Cidre, aber egal wie viele Apfeltörtchen sie aus dem Ofen holte, und wie viele Kürbis-Schinken-Teigtaschen sie zuklappte, sie wusste immer noch nicht, was sie mit Whit machen sollte, oder mit Ethan. Der eine hielt noch immer ihr Herz in den Händen, und der andere wollte es am liebsten in Stücke reißen, und Claire blieb mit einem tiefen Loch in der Brust zurück. Nicht die Dinge, die darin fehlten, machten dieses Vakuum so gefährlich, sondern die, die es magisch anzog.
Zu ihrer großen Überraschung stellte sich heraus, dass es vor allem das Salz war.
Als der Ertrag des Jahres schließlich komplett in der Scheune eingelagert war, stellten Jo und sie fest, dass sie Schwierigkeiten haben würden, die ganze Ware überhaupt an den Mann zu bringen. »So eine Saison hab ich noch nicht erlebt«, gab Jo zu und schüttete die letzte Ladung der grauen Körnchen aus der Schubkarre in einen Trog. »Du schmeißt am besten den Ofen an und bäckst, was das Zeug hält, Claire. Auf andere Art und Weise werden wir das nämlich nicht los. Selbst die Fischer brauchen nicht so viel. Chet Stone ist zwar großzügig, aber so großzügig nun auch wieder nicht.«
Unbehagliche Stille breitete sich zwischen ihnen aus. Claire räusperte sich. »Genau darüber«, murmelte sie und errötete, »hab ich mir in letzter Zeit Gedanken gemacht. Vielleicht ist es ja an der Zeit, dass das Salz wieder nach Prospect zurückkehrt.«
Jo starrte sie an. »Was soll das heißen, Claire?«
Claire atmete tief durch. »Wie wäre es denn, wenn das Salz wieder Einzug beim Dezemberfeuer hält?«
Jo wischte sich den Staub von den Händen und dachte über den Vorschlag nach. »Das fänden die Leute bestimmt toll. Und noch besser: Es würde Whit unglaublich ärgern. Wenn wieder alle anfangen, unser Salz zu essen, dann ist es nämlich gar nicht mehr so einfach, uns loszuwerden.«
Als Whits Name fiel, kam Claire mit einem Mal eine Idee. Sie kniff die Augen zusammen und ließ sich die Sache durch den Kopf gehen. »Jo«, sagte sie schließlich, setzte sich auf einem Stapel staubiger Verpackungskisten und senkte die Stimme, »was wäre denn, wenn wir Whit verraten, wer du wirklich bist? Schließlich hat er es doch verdient, die Wahrheit zu erfahren.«
Jo stemmte die Hände in die Hüften. »Er verdient es ja nicht einmal, einen Kopf auf den Schultern zu haben.« Sie schwieg einen Moment und runzelte die Stirn. »Ich begreife nicht, welchen Nutzen wir daraus ziehen könnten.«
»Überleg doch mal. Wir könnten ihm androhen, ein paar wirklich hässliche Geschichten über seine Mutter in Umlauf zu bringen, wenn er uns nicht in Ruhe lässt. Für den Notfall haben wir ja Beweise. Wir haben Idas Brief. Und ich wette, dass wir auch Pater Flynn ausfindig machen könnten.«
Jo legte die Stirn in Falten. »Ich hab seine Adresse. Ethan hat sie mir gegeben. Aber ich weiß gar nicht, was ich ihm nach all der Zeit noch schreiben soll. Das hab ich mir noch nicht überlegt.«
Claire streckte die offenen Hände aus, so, als wäge sie das Gewicht der drückenden Luft in der Scheune ab. Jo war immer nur schwer zu überzeugen. »Wir treffen eine Abmachung«, führte Claire die Sache weiter aus. »Wenn Whit die Salt Creek Farm in Ruhe lässt, dann lassen wir die Geschichte auf sich beruhen. Wenn er aber weiter gegen uns agieren will, dann gehen wir mit unserem Wissen an die Öffentlichkeit. Auge um Auge. Um Pater Flynn kannst du dir später noch Gedanken machen.« Sie faltete die Hände im Schoß und wartete.
»Ich weiß nicht, Claire«, wandte Jo ein. »Ich denke, wir bräuchten schon mehr Beweise als einen Brief ohne Unterschrift.«
Claire grinste. »Stimmt, aber in der Zwischenzeit würden die Lokalzeitungen die
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