Das Geheimnis der Salzschwestern
Dezember, wird hier ein großes Feuer angezündet. Da kommt dann die ganze Stadt. Und das ist alles.«
Dee seufzte und zog ihre Gabel durch den Ketchuprest auf ihrem Teller. »Wo findet das Ganze statt?« Wenn sie Mr Weatherly am Reden hielt, verriet er ihr vielleicht unverhofft doch noch ein paar pikante Details. Die er natürlich nicht erläutern würde – er würde sie einfach im Raum stehenlassen und dann zusehen, wie sie verzweifelt versuchte, sich einen Reim darauf zu machen.
»Auf Tappert’s Green.«
Dee dachte an den nur spärlich bewachsenen Kreis, den sie an ihrem ersten Tag in der Stadt entdeckt hatte. Sie konnte sich nicht vorstellen, dort draußen bei Wind und Schnee herumzustehen. »Gehen Claire und Jo da auch hin?«, fragte sie, und Mr Weatherly zog den Schirm seiner Kappe zurecht.
»Früher waren sie schon mit dabei«, erklärte er schließlich und wich ihrem Blick aus, »die sind aber nie lange geblieben.«
Dee fiel auf, dass Mr Weatherly immer eine Sekunde länger zögerte, wenn sie ihn nach den Gilly-Schwestern fragte, als wäge er seine Worte zunächst sorgfältig ab.
Genau in diesem Moment bimmelte die Türklingel, und ein schnatternder Schwarm Frauen eilte herein. Sie lachten, als der Wind an ihren Röcken zerrte. Dee sprang von ihrem Hocker und griff nach ihrem Teller, während sie die Schürze glattstrich.
»Dad, wir haben Kundschaft!«, rief sie in die Küche. Und zwar zum allerersten Mal. Der Teufel sollte sie holen, wenn dieses Salz nicht funktionierte. Dee griff nach einem Stapel laminierter Speisekarten und ging auf die Frauen zu, blieb dann aber wie angewurzelt stehen. Vielleicht funktionierte das mit dem Salz ja auch ein bisschen zu gut, dachte sie, denn vor ihr stand ausgerechnet Claire Gilly Turner – rothaarig wie ein Fuchs und in einen scharlachroten Mantel gehüllt. Und sie schien nicht die geringste Lust zu haben, sich von einem plumpen kleinen Ding wie Dee bedienen zu lassen.
Dee führte die Frauen – fünf an der Zahl – in eine Sitznische in der Ecke und reichte ihnen die Speisekarten, während sie weiter über irgendein Komitee plapperten, dem sie alle angehörten. Es schien mit der Bücherei zu tun zu haben. Dee fiel auf, dass alle warteten, bis Claire ihren Mantel ausgezogen und sich in der Nische einen Sitzplatz ausgesucht hatte. Sie war auch die Einzige, die nicht nach der Karte griff. Als sie gelangweilt abwinkte, sorgte das am Tisch für panische Unruhe. Eine der Damen knallte die Menükarte auf den Tisch, eine andere gab sie Dee mit verschämtem Blick wieder zurück.
»Fünfmal Kaffee, bitte«, verkündete Claire, ohne Dee auch nur anzusehen. »Und meinen bitte mit extra Milch.« Ihre Stimme war tiefer, als Dee erwartet hatte, samtig wie Schokolade. Das entsprach keiner Bestellung, die Dee unbedingt aufschreiben musste, sie war aber so nervös, dass sie doch lieber alles notierte. Jetzt, wo sie Claire direkt gegenüberstand, fühlte sie sich ungeschickt wie ein junges Hündchen – nichts als Pfoten und Flaum. Ihr blieb fast das Herz stehen, als Claire auf einmal finster die Augen zusammenkniff.
»Was ist das denn?« Auch die Frauen rund um den Tisch erstarrten, ihr mit Lippenstift verziertes Lächeln fast schon eine unbewegliche Fratze. Dee sah zu dem Schälchen Salz, auf das Claire deutete. Es war randvoll, die Körnchen darin klumpten zusammen und bildeten unregelmäßige Muster. Dee musste zugeben, dass es nicht sehr appetitlich aussah.
Claire streckte ihren dünnen Arm über den Tisch aus. Die Innenseite ihres Gelenks war weiß wie ein Blatt Papier und von zarten blauen Venen durchzogen. Dee hatte noch nie jemanden mit so weißen Händen gesehen. Die erinnerten sie an die Hände einer Dame aus der Viktorianischen Ära. Fasziniert sah sie dabei zu, wie Claire mit schmalen Fingern nach der Schale griff und sie auf Dees Tablett stellte.
»Nimm das mit«, befahl sie und schob ihr spitzes Kinn vor. »Dieses Zeug ist absolutes Gift. Bring uns lieber etwas Süßes mit, ich denke, die Damen hätten gern eine Kleinigkeit zu essen.« Bei diesen Worten erhellten sich die Gesichter ihrer Begleiterinnen, die molligste der Frauen leckte sich den Mund und verschmierte dabei ihren himbeerfarbenen Lippenstift. Claire zog eine Augenbraue hoch, was Dee ganz richtig als Aufforderung verstand, sich besser zu sputen. Trotzdem blieb sie einen Moment an der Theke stehen und sah zu dem Tisch hinüber.
»Was machst du denn?«, rief ihr Vater aus der Küche und stemmte die
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