Das Geheimnis der Salzschwestern
dessen Linien und Rundungen sie noch nicht vertraut war. Dabei bemerkte sie, dass Mr Upton schon wieder ihre Ringe anstarrte. An einem neunzehnjährigen Landei wirkten die Diamanten viel zu riesig, das war ihr schon klar. Sie schniefte und verbarg ihre linke Hand, während sie mit der rechten auf das Regal ganz vorne im Laden deutete.
»Wenn Sie nur wüssten, was in dem Zeug drin ist«, verkündete sie, und die Worte sprudelten aus ihrem Mund, noch bevor sie groß darüber nachgedacht hatte, »dann würden Sie das hier nicht so zur Schau stellen.«
Mr Upton wurde bleich und wirkte plötzlich nervös. Ihm war bei dem Salz nie so richtig wohl gewesen, obwohl er sich daran gewöhnt hatte. »Was soll das heißen?«, fragte er und schluckte.
Claire spielte mit dem Ende ihres langen roten Zopfes. Sie war vielleicht eine verheiratete Frau, trug die Haare aber immer noch wie ein Schulmädchen. Das musste für Mr Upton, der sie seit ihrer Geburt kannte, recht verwirrend sein, und das wusste sie ganz genau. Sie klimperte mit den Wimpern. »Bis jetzt habe ich nie etwas gesagt, aber lassen Sie es mich mal so ausdrücken – ich habe gesehen, wie sich dieses Salz innerhalb von einer Saison durch Metall fressen kann. Wenn ich mir nur vorstelle«, und hier erschauderte sie demonstrativ, »was da auf der Salt Creek Farm alles in den Schlamm sickert. Sie haben all den Schrott ja gesehen, ganz zu schweigen von den Familiengräbern.« Claire deutete auf die Beutel, beugte sich vor und dämpfte die Stimme. »Was glauben Sie denn, warum sich das Salz meines Bruders blutrot färbt?«
Mr Uptons Blick folgte ihrem Finger zu den Säckchen. »Aber … aber«, stammelte er, »die müssen doch hier sein. Das weißt du.«
Claire lächelte und spielte an ihrem Ring herum. »Müssen sie das wirklich? Sie könnten den Platz doch gut für etwas anderes gebrauchen, teurere Waren zum Beispiel. Ich bin jetzt eine Turner und könnte wetten, dass ich in diesem Laden mehr Geld ausgeben werde als irgendjemand sonst. Ich denke doch, dass Sie Ihre beste Kundin zufriedenstellen möchten.«
Sie sah dabei zu, wie der arme Herman Upton immer blasser wurde, dann erzitterte und schließlich einlenkte, mit hängenden Schultern zur Warenauslage hinüberschlurfte und die kleinen Jutebeutel an sich nahm. Er wog jedes pralle Säckchen einen Moment lang in der Hand und verstaute es dann an einer unauffälligeren Stelle ein paar Regalbretter tiefer. »Hier unten passen die wohl ganz gut hin«, meinte er. »Ja, ich denke schon. Vermutlich ist es wirklich keine schlechte Idee, auch mal anderes Salz zu führen.«
»Viel besser, nicht wahr?«, strahlte Claire jetzt wieder. »Wir sehen uns dann in ein paar Tagen. Heute brauche ich nämlich gar nichts.« Und damit stolzierte sie zur Tür hinaus. Jetzt bin ich eine echte Turner, dachte sie. Ach, ich könnte den ganzen Laden aufkaufen, wenn ich wollte. Diese Vorstellung fand sie so berauschend, dass ihr tatsächlich ein wenig schwindelig wurde und sie sich fast am Türrahmen festhalten musste.
Sie schwor, dass all die Mädchen, die sich in der Schule über ihre schmutzige Arbeitskleidung lustig gemacht hatten, sie nie in etwas anderem als Seide oder Kaschmir zu Gesicht bekommen würden. Die Jungen, die sie eine Hexe genannt hatten, hatten jetzt Jobs – in Joes Werkstatt und der Tankstelle, im Country Club in Wellfleet oder im Kaufhaus von Hyannis –, bei denen sie sie mit »Madam« anreden mussten, und die alten Damen, die sich über ihre Familie und ihre roten Haare das Maul zerrissen hatten, würden jetzt angekrochen kommen und bei ihr um eine Spende für wohltätige Zwecke betteln. Selbst Pater Flynn, der Claire auf ihre Erstkommunion vorbereitet und ihr Katechismusunterricht erteilt hatte, würde ihr am Sonntag die Hand küssen und abwarten, bis sie saß, bevor er mit der Messe anfing, so wie er es bei Ida immer gemacht hatte.
Und so wie Ida würde nun Claire die Stellung als Bienenkönigin der Stadt einnehmen, im Country Club oder bei Wohltätigkeitsveranstaltungen von Gruppe zu Gruppe schweben und überall Andeutungen darüber fallen lassen, dass das Salz, mit dem die Frauen das Schmorfleisch ihrer Männer würzten und bei Erkältungen ihre Kinder gurgeln ließen, vielleicht gar nicht so gut für sie sei – dass sie sich damit tatsächlich vergiften könnten.
Und das Beste daran war, dass sie selbst das Zeug nie wieder anrühren musste, wenn sie nicht wollte, und von Wollen konnte keine Rede sein. Claire
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