Das Geheimnis der Salzschwestern
und versuchte – natürlich vergeblich –, sich den Dreck von den Händen zu streifen. Sie fühlte sich immer noch wie eine Bettlerin, die einen König begrüßte. »Was um alles in der Welt machst du denn hier?«, wollte sie wissen, als er auf sie zukam. »Ich glaube nicht, dass es unter den gegebenen Umständen so eine gute Idee ist, uns hier in der Marsch zu treffen.«
Aber Whit legte ihr nur die Hände auf die Schultern. »Genau das denke ich auch.«
Ihr Herz schlug schneller, und sie sah sich nach Jo um. »Was willst du?«, fragte sie leise und vorsichtig.
Seine dunklen Augen taxierten sie, als würden sie dem Zeiger einer Uhr folgen. »Dich.«
Claire schnaubte. »Jetzt sei doch nicht albern.«
Whit breitete die Arme aus. »Was kann so ein Ort einem Mädchen wie dir schon bieten?«
Claire hielt inne. Diese Frage hatte sie sich immer schon gestellt, sein ganzes Leben hinter sich zu lassen war aber leichter gesagt als getan. Ich brauche ein Zeichen , dachte Claire , irgendeinen winzigen Hinweis . In diesem Moment sah sie einen von diesen nervigen blauen Schmetterlingen, in denen ihre Mutter immer Vorboten des Unglücks gesehen hatte. Er landete auf ihrer Schulter, und dann folgten ihm noch zwei weitere. Claire erschauderte und versuchte, die Tierchen wegzuschnippen, aber da legte ihr Whit bereits seine Jacke um die Schultern. Das machte die Situation aber nur noch schlimmer. Sie stellte sich die zerquetschten Flügel am Innenfutter vor und kämpfte gegen das Verlangen an, die Jacke in den Schlamm zu schleudern.
Whit schwieg auf einmal, und Claire wurde klar, dass er sie irgendetwas gefragt haben musste. Sie schaute auf, und plötzlich standen sie Nasenspitze an Nasenspitze da und sahen sich in die Augen. So ganz aus der Nähe roch er einfach betörend, würzig und nach feinem Leder, und seine Haut war so auf Hochglanz poliert, dass Claire am liebsten daran gerieben hätte, um zu sehen, ob sie wohl quietschte oder ihr, besser noch, damit ein Wunsch gewährt war. Wie in Trance lehnte sie sich zu ihm vor, um ihn hier und jetzt zu küssen, in diesem Moment entdeckte sie jedoch Jo. Claire stieß einen seltsamen Laut aus, obwohl sie sich doch eigentlich gar nichts vorzuwerfen hatte. Und dann presste Whit sie, noch bevor sie irgendetwas dagegen unternehmen konnte, an seine Seite und erklärte sie zu seiner zukünftigen Frau.
Einen Moment lang schien die ganze Welt den Atem anzuhalten – die Wolken, das Wasser am Wehr, das Salz unter Claires Füßen. Sie würde heiraten. So lange hatte sie sich danach verzehrt und befürchtet, ihr würde dieses Glück nie zuteilwerden. Wenn sie nicht Ethans Frau werden konnte, überlegte sie, war es dann so schlecht, mit Whit verheiratet zu sein? Immerhin war er reich, sah gut aus, und da gab es dieses Brodeln zwischen ihnen, wie die Strömung unter der Wasseroberfläche bei Drake’s Beach. Claire lehnte sich erst mit der Schulter, dann mit der Hüfte an Whit, spürte ihn in ganzer Körpergröße und voller Entschlossenheit. Es war doch bestimmt schön, mit einem Mann zusammenzuleben, den nur praktische Belange interessierten und der sich nicht um diesen blöden spirituellen Kram scherte.
»Ja«, flüsterte sie so leise, dass sie gar nicht sicher war, ob sie es wirklich gesagt hatte, und er drückte sie an sich.
»Geh deine Sachen holen, ich warte mit laufendem Motor unten an der Straße.«
Im Haus angekommen wurde Claire mit der traurigen Wahrheit konfrontiert, dass sie eigentlich gar nichts mitnehmen wollte. Sie würde nichts einpacken, das sie an Ethan erinnerte – keine Jahrbücher, Fotos vom Abschlussball oder Gedichte, die er für sie aufgeschrieben hatte. Abgesehen von diesen Andenken war ihr Zimmer kahl und leer wie die Zelle einer Nonne. Schließlich stopfte sie zwei Jeans, drei Blusen und Unterwäsche für eine Woche in eine Stofftasche, obwohl selbst das eine reine Formalität war. Whit hatte gesagt, sie solle ihre Sachen holen, also holte sie eben ein paar Sachen, sie wusste aber ganz genau, dass nichts von ihrem alten Selbst den Auszug von der Salt Creek Farm überleben würde, und darum ging es ihr ja schließlich. Nichts würde ihr je wieder wehtun.
Bevor sie ging, verharrte sie einen Moment am Fenster zur Marsch. Ihre Mutter war nach Hyannis gefahren, nach ihr brauchte sie also nicht Ausschau zu halten, in der Entfernung konnte sie jedoch Jo sehen, die sich über einen der Dämme beugte.
Die neue gekrümmte Körperhaltung ihrer Schwester war immer noch
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