Das Geheimnis der schönen Catherine
meisten Mädchen von ihren älteren weiblichen Verwandten unterstützt wurden, wenn sie zu Frauen wurden. Catherine war ganz allein gewesen. Sie hatte Probleme bewältigen müssen, die er sich nicht einmal vorstellen konnte … »Sie hat mir später erzählt, dass ihre Mutter so gestorben war, dass sie verblutet war, nachdem sie ein Baby auf die Welt gebracht hatte. Das Baby war tot.« Maggie seufzte. »Und Miss Catherine, die arme Kleine, hatte panische Angst, weil sie beim Stehlen ertappt worden war und nicht wusste, was schlimmer war: als Dieb bestraft zu werden – da wird einem die Hand abgehackt – oder von innen heraus zu verbluten wie ihre Mutter.« Hugo schloss kurz die Augen und ballte die Fäuste. »Dieser Schuft von einem Vater soll dafür für alle Zeiten in der Hölle schmoren, dass er sie so vernachlässigt hat! Was hat er sich bloß dabei gedacht, ihr das Stehlen zu erlauben?« Maggie verzog das Gesicht. »Erlauben? Er hat sie ja dazu abgerichtet! Wie einen Lehrling. Schon von klein auf. Mit den Karten allein konnte er nicht genug verdienen. Und für richtige Arbeit war sich der feine Gentleman ja viel zu schade.«
»Er hat sein Kind – seine Tochter – dazu abgerichtet zu stehlen?«
»Keine schöne Geschichte, nicht?« stimmte Maggie ihm grimmig zu. »Aber als englischer Gentleman hatte er zu den Häusern und Palästen der Reichen natürlich immer Zutritt. Sein unschuldiger kleiner ›Sohn‹ natürlich auch. Die beiden kamen und gingen, wie sie wollten. Und dann, wenn sie die Örtlichkeiten ausgekundschaftet hatten, zog die kleine Catherine ihr Eingeborenenkostüm an und ging zurück und stahl für ihren Vater. Dem habe ich aber bald ein Ende bereitet. Es war einfach nicht recht.
Ich habe Miss Catherine gebadet und sie in ein Nachthemd gesteckt. Und als ihr nichtsnutziger Papa sie suchen kam, hatte ich schon beschlossen, bei ihr zu bleiben und sie den Unterschied zwischen Gut und Böse zu lehren, nachdem es niemand sonst eingefallen war, ihr das beizubringen, wie ich ihm auch gleich sagte. Und ab da hatte er mich am Hals. Und Catherine wurde das erste Mal in ihrem Leben zu einem Mädchen.«
»Ich verstehe allmählich, warum Catherine schreibt, sie würde alles für Sie tun, Maggie Bone«, sagte Hugo leise. Maggie errötete. »Miss Bone, ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet«, sagte er förmlich. »Wenn ich irgendetwas für Sie tun kann, brauchen Sie nur zu fragen.
Ich bin immer für Sie da.«
»Ach, pah!« sagte Maggie barsch. Vor Verlegenheit und Freude war sie rosarot angelaufen. »Jede andere hätte an meiner Stelle dasselbe gemacht. Sie war ein wunderbares Mädchen, so warmherzig und gut, trotz der schlechten Dinge, die man ihr beigebracht hatte«, schwärmte Maggie. »Es ist nicht schwer, sie zu lieben.«
»Das stimmt«, pflichtete er ihr mit ernster Stimme bei, worauf Maggie erneut nach dem Taschentuch zu kramen begann. Sie schniefte eine Weile, schnäuzte sich und fügte dann mit schwankender Stimme hinzu: »Und von da an hat sie nicht mal mehr einen Strohhalm gestohlen, bis er ihr auf dem Sterbebett das Versprechen abnahm, hierher zu kommen und all diese Dinge zu klauen. Oh, Mr. Devenish, Sir – ich könnte es nicht ertragen, wenn Miss Catherine deswegen gehängt würde!«
»Das wird nicht geschehen«, erwiderte er bestimmt. »Ich werde es nicht zulassen. Wir werden alles aufklären, Maggie, das verspreche ich Ihnen.«
»Aber wie sollen wir sie finden, Sir? Miss Catherine versteht sich sehr gut darauf zu verschwinden.«
»Solange sie wirklich zuerst nach London fährt, haben wir hervorragende Aussichten, sie zu finden. Aber wenn Sie sich mit Irland geirrt haben und sie doch dorthin gefahren ist, wird es schwieriger. Doch falls sie wirklich plant, von London aus auf den Kontinent zu reisen, werden wir keine Probleme haben. Ich lasse den Hafen in London schon länger überwachen. Und ich habe auch Männer in Southampton und Dover postiert.« Maggie sah ihn überrascht an. »Sie haben damit gerechnet, dass sie flüchten würde? Aber wie konnten Sie so etwas vorausahnen?«
»Das habe ich nicht«, korrigierte Hugo sie. »Ich nahm an, dass sie … dass sie vor den Behörden würde fliehen müssen. Ich habe nur sicherstellen wollen, dass ein Schiff für sie bereitsteht, falls sie eine Fluchtmöglichkeit braucht. Eins von meinen Schiffen, damit ich erfahre, wo sie hinfährt.« Er lächelte schwach. »Ich habe nicht die Absicht, sie zu verlieren, wissen Sie.« Sie schwiegen eine
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