Das Geheimnis der schönen Catherine
blickte Catherine ihn an. Von wegen wenig Leute! Plötzlich wurde ihr so einiges klar, was ihr vorher rätselhaft vorgekommen war: Miss Singletons Bemerkung, dass Catherine Perlen statt Diamanten trug. Dass Lord Norwood und andere junge Männer sie so beharrlich umschwärmten. Mr. Devenishs ebenso beharrliches Interesse an ihrem familiären Hintergrund. Fieberhaft überlegte sie. Anscheinend hielt der gesamte ton sie für unermesslich reich. Deswegen also war sie so freundlich und zuvorkommend behandelt worden, sie, eine unbekannte junge Frau. Mit Toleranz oder Offenheit, wie sie gedacht hatte, hatte das alles nichts zu tun. Die Leute in London waren nicht anders als anderswo auf der Welt. Wer Geld hatte, war überall willkommen. Unter anderen Umständen hätte sie es amüsant gefunden, dass die Leute einem so grotesken Irrtum erlegen waren. Aber sie konnte sich die Aufmerksamkeit, die sie damit auf sich zog, nicht leisten. Wie war dieses furchtbare Gerücht nur entstanden?
Dieses nicht nur schreckliche, sondern völlig lächerliche Gerücht – eine Diamantenmine in New South Wales! Wie konnte sie sich bloß aus der Affäre ziehen? Sie sah zu dem bestürzten jungen Dandy auf, der mit ihr getanzt hatte. Dem jungen Mr. Wollborough war offensichtlich klar, dass er seine Chance bei der vermeintlich reichen jungen Erbin verspielt hatte. Mit leiser Stimme bat sie: »Würden Sie mich bitte zu meiner Tante bringen, Mr. Wollborough? Ganz plötzlich verspüre ich furchtbare Kopfschmerzen.« Daheim angekommen, brachte Catherine das Gespräch gleich auf das Gerücht. »Der junge Mr. Wollborough hat mich auf eine Diamantenmine angesprochen, Tante Rose.«
»Ja, meine Liebe?« erwiderte Rose und griff nach einem Schal, der ihr zu Boden zu rutschen drohte. »Er – und offenbar noch eine ganze Reihe anderer Leute – scheinen zu glauben, dass mir eine Diamantenmine gehört.«
»Und?«
Rose legte die Stirn in Falten, als sie ihre Nichte ansah. »Wo liegt das Problem? Ich weiß, du möchtest nicht, dass jeder weiß, wie reich du bist. Aber so etwas kann man einfach nicht lange geheim halten.«
»Aber warum glauben die Leute, dass mir eine Diamantenmine gehört?«
»Es sind aber doch Diamanten, oder? Ich bin mir ganz sicher – ich hätte mich daran erinnert, wenn er von Rubinen oder Smaragden erzählt hätte. Oder von Saphiren – die würden übrigens wunderbar zu deinen Augen passen, meine Liebe. Nein, ich bin mir sicher, dass er von einer Diamantenmine schrieb.«
»Wer hat dir das geschrieben?« Ihre Gastgeberin sah sie erstaunt an. »Dein Vater natürlich! Wer denn sonst?« Catherine schloss für einen Moment die Augen. Dein Vater! Wer denn sonst? »Mein Vater hat dir geschrieben, dass er eine Diamantenmine besitzt?«
»Komm mit, ich zeige dir den Brief.« Rose eilte in ihr Zimmer, wo ein kleiner Sheraton-Schreibtisch stand. Sie stöberte in diversen Papierstapeln und sah sich dann verwirrt im Zimmer um. »Wo ist der dumme Brief nur hin? Die Dinge in diesem Haushalt haben eine merkwürdige Neigung, ständig zu verschwinden. Wo habe ich ihn nur hingelegt? Wirklich, es ist mir ein Rätsel …«
»Bitte reg dich nicht auf«, sagte Catherine.
»Früher oder später findet er sich schon wieder. Würdest du mir bitte verraten, was mein Vater geschrieben hat? Über die genaue Lage der Diamantenmine?« Tante Rose sah sie verwundert an. »Aber du weißt doch, wo die Mine ist, oder? Das ist alles sehr merkwürdig.
Aber ich nehme an …«
»Bitte, Tante Rose. Was hat er geschrieben?« beharrte Catherine sanft.
»Nun, er schrieb, die Mine sei in New South Wales. Wo denn sonst?« In New South Wales?
Eine Diamantenmine in New South Wales? Catherine schwankte. Das war wieder einmal typisch für ihren Vater! Im letzten Moment noch eine kleine Ausschmückung hinzuzufügen.
Eine unmögliche, lächerliche, völlig hanebüchene Ausschmückung. Sie atmete tief durch und öffnete die Hände, die sie unwillkürlich zu Fäusten geballt hatte. Auch wenn es ihr leider unmöglich war – in dieser Minute hätte sie ihren Erzeuger am liebsten erwürgt. »Habe ich deinen Vater falsch verstanden?« fragte Rose besorgt. »Die Mine ist doch dort – habt ihr beide nicht dort gelebt? Mein Freund, Mr. Harris, meinte zwar auch, dass New South Wales ein äußerst merkwürdiger Ort für ein Diamantenvorkommen sei … Oh, wo ist nur dieser dumme Brief?«
»Du hast Mr. Harris anvertraut, dass mir eine Diamantenmine in New South Wales gehört? Ach,
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