Das Geheimnis der schönen Catherine
den Walzer so tanzte, wenn man fest umfangen von starken, männlichen Armen über das Parkett schwebte, bis man sich nur noch der Musik und der Nähe des Tanzpartners bewusst war – dann war das schon eine berauschende Erfahrung. Catherine gab sich dem Zauber des Walzers hin. Die Welt um sie herum verschwamm zu einem glitzernden Regenbogen. Die Melodie des Walzers erfüllte ihr ganzes Denken, und alles, was sie noch mit dem Boden verband, war der Mann, der sie in den Armen hielt und nun überrascht zu ihr hinunterblickte. Ihre Blicke verschmolzen. Catherine fühlte plötzlich eine seltsame Atemlosigkeit, die nichts mit dem Walzer zu tun hatte. Sie wünschte, sie könnte immer weiter dahintanzen, mit ihm in ein neues Leben tanzen, einfach davonschweben …
Aber das würde sie nicht tun. Sie hatte ein Versprechen geleistet. Damit stand auch ihre Ehre, nicht nur die ihres Vaters auf dem Spiel. Catherine zwinkerte, um den Bann zu brechen, mit dem Mr. Devenish sie verzaubert hatte, und schloss die Augen, um nicht daran erinnert zu werden, dass sie noch nie einen Mann wie ihn gesehen hatte … Abrupt lockerte er den Griff, worauf sie leicht ins Taumeln geriet. Sofort hielt er sie fest, und Catherine wurde bewusst, wie stark er war. Ein Mann wie er würde eine Frau niemals stürzen lassen. Auf einen Mann wie ihn konnte eine Frau sich verlassen. Aber sie durfte sich nur auf sich selbst verlassen. Das war schon immer so gewesen. Anders ging es nicht. Sie musste den Bann brechen. »Lieber Himmel, so ein langer Tanz, nicht wahr? Werden Sie müde, Mr. Devenish?« lispelte sie.
»Wollen Sie die Richtung wechseln?« Bevor sie noch antworten konnte, wirbelte er sie voll wütender Energie linksherum durch den Ballsaal. Und wieder war das Erlebnis so berauschend, dass Catherine sich bezähmen musste, um sicheren Abstand zu wahren. Die Speisen, die am Buffet auf hungrige Gäste warteten, waren entgegen der düsteren Bemerkungen einiger Gäste überraschend gut – ein Sieg Lady Parsons über den Geiz ihres Mannes: Neben Pasteten mit verschiedenen Füllungen – Taube, Schwein, Kalb und Schinken – gab es auch frittierte Austern, Hummersalat, Aal in Aspik, Entenbraten, Wachtelpasteten, geschmorten Kapaun, einen ganzen Berg von Schinkensandwichs, Früchte, Gelees, Fruchtpuddings, trifles, Gebäck mit Zuckerguss und Eis in verschiedenen Geschmacksrichtungen. Zu Hugos Entzücken gab es auch Krebspastetchen. Er häufte mehrere auf einen Teller. »Wunderbar, nicht, Miss Singleton?« meinte er. »Haben Sie nicht einige Zeit Ihres Lebens in New South Wales verbracht?« Catherine lächelte ihn an, noch immer beseligt vom Walzertanzen. »Nein, nein«, erklärte sie heiter und schob sich eine frittierte Auster in den Mund, was eine Konversation für einige Zeit verhinderte. Hugo runzelte die Stirn. »Aber ich dachte, Sie kämen aus New South Wales?« Die Diamantenerbin kaute schweigend vor sich hin, lange und gründlich. Hugo verschlang ein Krebspastetchen. Dann versuchte er es erneut.
»Ich glaube, Ihr Vater war geschäftlich in New South Wales?« Catherine lächelte. »Mein Vater war immer sehr vielseitig interessiert, ja.« Beiläufig stellte Hugo fest, dass die junge Dame nicht durchgängig lispelte. War ihr Lispeln wirklich nur ein Zeichen von Nervosität, wie Amelia meinte? Dieser Gedanke beunruhigte ihn ein wenig, vor allem nach diesem Walzer. Während des Walzers war etwas passiert … sie hatte irgendwie anders … Nein! Er würde nicht länger an diesen Tanz denken. Die atemlose junge Elfe, die er herumgewirbelt hatte, hatte sich wieder in einen langweiligen Hohlkopf verwandelt. Ein Mädchen, über das er endlich mehr in Erfahrung bringen sollte, schon um seines Neffen willen. »Ihr Vater war wohl Großgrundbesitzer? Ich habe gehört, dass man in New South Wales leicht Land erwerben kann.«
»Wirklich?« erwiderte Catherine. »Ja, das wurde mir erzählt«, beharrte Mr. Devenish.
»Hat Ihr Vater Landwirtschaft betrieben? Ich glaube, man züchtet dort überwiegend Schafe? Hatte Ihr Vater viele Schafe?« Catherine kicherte albern und schüttelte den Kopf, aber innerlich war ihr sehr mulmig zu Mute. Mr. Devenish war hervorragend über die junge Strafkolonie informiert, über die in London sonst fast niemand etwas zu wissen schien.
Möglicherweise hatte er die Kolonie sogar schon selbst besucht. Das würde auch erklären, warum er ihr irgendwie bekannt vorgekommen war. Sie sollte besser vorsichtig sein: Wenn herauskäme, dass sie
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