Das Geheimnis der schönen Catherine
werde mich deutlich ausdrücken.« Miss Singleton legte das Kissen zurück. »Und nun, mein Kind, werde ich mir meinen wohlverdienten Schönheitsschlaf gönnen. Und du solltest das auch. Der Abend war anstrengend, nicht wahr? Träum schön, mein Kind.« Sie küsste Catherine liebevoll auf die Wange und entschwebte zu ihren Gemächern. Catherine wachte früh am Morgen auf. Noch war es draußen dunkel, noch war die Morgendämmerung nur ein vager Schimmer, der hinter den dunkelgrauen Häusergiebeln hervorkroch. Sie wusste, warum sie aufgewacht war: Sie konnte nie gut schlafen, wenn sie sich Sorgen machte. Und Sorgen hatte sie im Augenblick mehr als genug. Es war aber nicht die Diamantenmine, an die sie nach dem Aufwachen als Erstes denken musste. Nein, ihr stand vor Augen, welches Gesicht Mr. Devenish machen würde, wenn er entdeckte, dass seine Nadel mit dem Phönix verschwunden war. Müde schloss sie die Augen. Warum musste ihr ein derartiger Fehler ausgerechnet bei einem Mann wie ihm unterlaufen? Und das in ihrer prekären Lage? Es war gemein, es war dumm, und es war viel zu riskant gewesen. Trotzdem hatte sie es getan. Und sie konnte es nicht mehr rückgängig machen. Aber das war noch nicht alles. Sie musste sich überlegen, wie sie mit den Gerüchten um die Diamantenmine fertig werden konnte. Catherine zog sich die Bettdecke über das Gesicht und stöhnte. Sie hatte vorgehabt, sich in London in die Gesellschaft einführen zu lassen, kein Aufsehen zu erregen und London dann genauso unauffällig wieder zu verlassen, wie sie gekommen war. Und jetzt war sie eine reiche Erbin – die aus einer Strafkolonie auf der anderen Seite der Welt kam. Die Erbin einer Diamantenmine in einer Strafkolonie! Wer würde diese Kombination nicht einfach unwiderstehlich finden? Wieder stöhnte sie. Solche lächerlichen Geschichten hatte ihr Vater mit Leidenschaft erfunden; es hatte ihm immer tiefe Befriedigung verschafft, einem leichtgläubigen oder schlecht unterrichteten Menschen einen Bären aufbinden zu können. Aber er hatte sie nach London geschickt, damit sie die Familienehre wiederherstellte. Hätte er den Erfolg dieser Mission wirklich für einen billigen Scherz aufs Spiel gesetzt? Nein, dachte Catherine.
Wahrscheinlicher war, dass Miss Singleton etwas, was in irgendeinem alten Brief stand, mit dem verwechselt hatte, was er ihr aus New South Wales geschrieben hatte. Dennoch – das Unglück war geschehen. Und sie musste sich wieder einmal in Schadensbegrenzung üben.
Aber dazu brauchte sie einen kühlen Kopf. Sie beschloss, sich ein wenig an der frischen Luft zu bewegen und auszureiten. Hugo war sehr schlechter Laune. Er hatte nur wenige Stunden lang geschlafen und war mit einem Brummschädel aufgewacht – einem Brummschädel, der zweifelsohne auf den Brandy zurückging, den er am Vorabend getrunken hatte. Dass er beim Ball offenbar zu viel Alkohol getrunken hatte, ärgerte ihn. Es war Jahre her, dass er seine Grenzen überschätzt hatte; er trank sonst überaus moderat. Was ihn zusätzlich quälte, war die Tatsache, dass er schon beim Aufwachen an Miss Singleton denken musste. Am vergangenen Abend hatte er kaum etwas über die junge Frau in Erfahrung bringen können. So gut wie nichts, stellte er fest. Das hatte er sich einfacher vorgestellt. Ja, er hatte wirklich gedacht, er müsse nur mit ihr reden, um herauszufinden, wo sie mit ihrem Vater gelebt hatte, und dann entsprechende Erkundigungen über sie einziehen. Aber das Mädchen hatte sich als das nichtssagendste und dümmlichste Wesen entpuppt, dem er je begegnet war. Er hatte nichts, aber auch gar nichts Sinnvolles aus ihr herausbekommen können. Wenn sie nicht so dämlich wäre, hätte er … hätte er … Hugo fluchte. Heftig riss er an der Glocke, um seinen Kammerdiener zu rufen. Wie um alles in der Welt hatte es nur passieren können, dass ihn dieses hirnlose Geschöpf derart erregte … Noch dazu mitten im Ballsaal! Bestimmt hatte es am Brandy gelegen. Dass diese knickerigen Parsons ihren Gästen derart minderwertigen Brandy ausschenkten! Nur der zweitklassige Brandy konnte schuld daran sein, schuld an seinen Kopfschmerzen, seiner schlechten Laune … und dem Mädchen. Abrupt setzte er sich auf und fasste sich leise stöhnend an den Kopf. Sein Blick fiel auf den Gegenstand auf seinem Nachttisch, eine goldene Uhr mit einem Phönix, dessen Rubinaugen dunkelrot funkelten. Zum Kuckuck, eigentlich hätte da noch ein zweiter Gegenstand liegen sollen. Das passende Ende
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