Das Geheimnis Der Schönen Toten
konnte angesichts der Tatsache, daß die weltliche Gewalt dort Seite an Seite mit der klösterlichen saß und beide ihn mit strengen und tiefernsten Gesichtern fixierten. Falls der Anblick dieses doppelten Tribunals, das auf sein Eintreten wartete, seine Gelassenheit auf der Schwelle des Empfangszimmers erschütterte, war ihm das weder an seiner Erscheinung noch an seinem Verhalten anzusehen. Er erwies den beiden unbeirrt seine Reverenz und wartete, daß man ihn ansprach. Hinter ihm schloß Cadfael die Tür.
»Ich habe dich kommen lassen, Bruder«, sagte der Abt, »weil etwas ans Licht gekommen ist, etwas, das du vielleicht wiedererkennst.«
Hugh hielt ihm auf der offenen Handfläche den Ring hin.
»Kennst du das, Ruald? Nimm es in die Hand, untersuche es.«
Das war kaum nötig. Ruald hatte schon den Mund geöffnet, um beim bloßen Anblick des Rings auf Hughs Hand zu antworten. Er nahm den Ring jedoch gehorsam an sich und drehte ihn sofort herum, damit das Licht von der Seite auf die schlichten, innen eingravierten verschlungenen Initialen fiel. Zur Identifizierung hatte er sie nicht gebraucht, er wünschte und akzeptierte sie jedoch dankbar als ein Zeichen sowohl von erinnerter Eintracht als auch Hoffnung für künftige Versöhnung und Vergebung. Cadfael sah, wie ein leichtes Zittern von Wärme und Zuversicht für einen Augenblick die geduldigen Züge des hageren Gesichts erhellte.
»Ich kenne ihn gut, Herr. Es ist der Ring meiner Frau. Ich habe ihn ihr vor unserer Heirat in Wales geschenkt, wo der Stein gefunden worden ist. Wie ist er hierher gekommen?«
»Laß mich zunächst eins klarstellen - du bist sicher, daß dieser Ring ihr gehört hat? Es kann keinen zweiten dieser Art geben?«
»Unmöglich. Es könnten zwar auch andere Paare diese Initialen haben, durchaus, aber diese hier habe ich selbst geschnitten, und ich bin kein Kunststecher. Ich kenne jede Linie, jede Unregelmäßigkeit, jeden Fehler der Arbeit, habe miterlebt, wie die hellen Linien im Laufe der Jahre stumpf wurden und anliefen. Diesen Ring habe ich zuletzt an der Hand von Generys gesehen. Wo ist sie? Ist sie zurückgekommen? Darf ich mit ihr sprechen?«
»Sie ist nicht hier«, erwiderte Hugh. »Der Ring wurde im Laden eines Juweliers in der Stadt Peterborough gefunden, und der Juwelier hat bezeugt, ihn nur etwa zehn Tage zuvor von einer Frau gekauft zu haben. Die Frau, die ihn verkaufte, brauchte Geld, um die Stadt zu verlassen und woanders einen sichereren Ort zum Leben finden zu können, da sie angesichts der in den Fens ausgebrochenen Anarchie dort nicht bleiben wollte. Der Juwelier hat sie beschrieben. Es hat den Anschein, als wäre sie tatsächlich die, die einmal deine Frau war.«
Das Strahlen von Hoffnung hatte auf Rualds schlichtem, nicht mehr jungem Gesicht einen langsamen und verhaltenen Sonnenaufgang ausgelöst, doch inzwischen hatte sich auch der letzte kleine Wolkenfetzen verzogen. Er wandte sich mit einem so strahlenden Eifer an Abt Radulfus, daß das Licht vom Fenster, das jetzt mit etwas blasseren Sonnenstrahlen in den Raum drang, nur wie der Widerschein seiner Freude wirkte.
»Dann ist sie nicht tot! Sie lebt und ist wohlauf! Vater, darf ich noch eine Frage stellen? Denn diese Nachricht ist wundervoll!«
»Gewiß darfst du das«, sagte der Abt. »Und wundervoll ist es tatsächlich.«
»Mein Herr Sheriff, wie ist der Ring hergekommen, wenn er in Peterborough gekauft und verkauft worden ist?«
»Er wurde durch jemanden hergebracht, der erst kürzlich aus dieser Gegend in unser Haus gekommen ist. Sulien Blount. Du kennst ihn. Der Juwelier dort hat ihm auf seiner Reise für eine Nacht Obdach gewährt, und dort hat Sulien den Ring gesehen und erkannt. Aus alter Freundschaft«, sagte Hugh mit Betonung, »wollte er ihn mitbringen, und das hat er nun, und jetzt hältst du ihn in der Hand.«
Ruald hatte sich umgewandt, um den jungen Mann, der stumm und reglos ein wenig abseits stand, mit einem langen und festen Blick zu betrachten. Sulien wirkte, als wünschte er sich unsichtbar zu machen, und da er in einem so kleinen Raum nicht verschwinden konnte, schien er zumindest zu hoffen, durch seine Reglosigkeit allzu aufmerksamer Beobachtung zu entgehen, und so hatte er vor sein allzu offenes Gesicht und die ehrlichen Augen gewissermaßen einen Schleier gezogen. Die beiden wechselten einen sonderbaren und prüfenden Blick, und keiner der Anwesenden bewegte sich oder sprach, um die Intensität des Moments nicht zu stören. Cadfael
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