Das Geheimnis der Schwestern
Bushaltestelle, aber wie würde Noah nach Hause kommen? Würde er trampen?«
»Da ich mir nie hätte vorstellen können, dass er den ganzen Sommer heimlich mit einem Mädchen verbringt und ohne Bescheid zu sagen mit einem Bus die Stadt verlässt, kann ich dir jetzt nicht sagen, was er tun würde. Mark hat doch ein Boot, oder?«
Winona nickte. »Wir haben den beiden den Sommer über beigebracht, wie man es fährt.«
»Dann könnte sie ihn in Water’s Edge absetzen und innerhalb von zehn Minuten wieder zurück sein.«
»Im Dunkeln? Meinst du, sie könnten so leichtsinnig sein?«
»Musst du das noch fragen? Komm, gehen wir zu Mark nach Hause und warten dort. Dann können wir sie zu Tode erschrecken.«
Vivi Ann, Aurora und Winona fuhren nacheinander vor Winonas Haus vor. Sie parkten auf dem Rasen und gingen durch die Hecke zum Nebenhaus. Dort fanden sie Mark, der unruhig auf seinem teuren Natursteinweg im Garten herumtigerte.
»Schönes Anwesen«, meinte Aurora mit Blick auf den kunstvoll angelegten Garten und die Kupferlampen.
Mark gab nicht mal zu erkennen, dass er ihre Bemerkung gehört hatte, sondern lief weiter hin und her, während er leise vor sich hin murmelte.
»Mark, das ist ein ganz normaler Übergangsritus«, sagte Aurora. »Jedes Kind läuft mindestens einmal von zu Hause weg. Janie ist heimlich zum Tacoma Dome gefahren, um Britney Spears zu sehen. Ich wusste nicht mal, ob ich sie für ihr Wegschleichen oder für ihren schlechten Musikgeschmack bestrafen sollte.«
Mark wandte sich zu ihr. »Meinst du wirklich, das wäre vergleichbar?«
Aurora runzelte die Stirn. »Du hast recht. Mein Kind ist gefahren. Noah und Cissy waren wenigstens klug genug, den Bus zu nehmen. Wenn man es von der positiven Seite betrachtet, haben sie wenigstens kein Auto geklaut.«
»Sie ist erst vierzehn, verdammt noch mal. Wir sollten die Polizei rufen.«
»Jetzt beruhige dich mal«, bat Winona.
Mark riss sich von ihr los und versuchte noch einmal, Cissy über ihr Handy zu erreichen. Als sie sich nicht meldete, marschierte er zur Straße und hielt dort Ausschau. Er stand dort, bis es Abend wurde. Der Himmel färbte sich erst orange- und dann lilafarben.
»Er hat aber schwer an seiner Verantwortung als Vater zu tragen«, stellte Aurora kopfschüttelnd fest. »Er läuft noch eine Furche in den Rasen.«
»Halt den Mund«, entgegnete Winona. »Er hat allen Grund, besorgt zu sein.«
»Ja, aber … Wenn er so weitermacht, wird ihm noch der Schädel platzen. Hoffen wir nur, dass sie niemals mit Drogen experimentiert. Das würde er nicht verkraften.«
Als Mark zum Haus zurückkam, saß Aurora auf einem schmiedeeisernen Stuhl mit wunderschönem Polster, Winona stand am Obeliskenbrunnen am Gartenweg und Vivi Ann in der Nähe der Hecke. »Es ist zwanzig vor acht«, sagte er. »Ich denke, wir sollten jetzt die Polizei rufen.«
»Innerhalb der nächsten Stunde werden sie kommen«, erwiderte Winona sachlich. »Wenn nicht, rufen wir Al an.«
»Man hat mich mehrfach gewarnt, was für ein übles Früchtchen Noah ist, aber ich dachte mir: Im Zweifel für den Angeklagten. Jetzt sieht man, wohin mich das gebracht hat. Er hat meine Cissy Gott weiß wohin entführt. Ich hab Angst –«
Oben an der Straße kam ein Bus zischend und quietschend zum Stehen und fuhr dann wieder los. Seine Scheinwerfer durchschnitten das Zwielicht.
Vivi Ann trat einen Schritt vor. Sie bemerkte, dass Mark dasselbe tat.
Noah und Cissy waren derart ins Gespräch vertieft, dass sie das Empfangskomitee zuerst nicht sahen. Sie hielten Händchen, hatten die Köpfe zusammengesteckt und schlenderten von der Straße herunter.
»Cecilia Marie Michaelian«, donnerte Mark. »Was zum Teufel hast du dir dabei gedacht?«
Wie angewurzelt blieben die beiden stehen.
Winona trat als Erste auf sie zu. »Wir haben uns Sorgen um euch gemacht.«
»Tut mir leid«, sagte Cissy kaum hörbar.
»Es war wirklich unvernünftig von euch, einfach so wegzulaufen«, fuhr Winona fort. »Wo wart ihr denn?«
Noah holte tief Luft und blickte von Vivi Ann zu Mark. »Wir waren im Gefängnis.«
Einen quälenden Moment lang sagte niemand ein Wort. Man hörte nur, wie das Wasser an den Kiesstrand floss und sich wieder zurückzog.
»Unfassbar«, sagte Mark schließlich. »Ab ins Haus mit dir, Cecilia. Wir unterhalten uns unter vier Augen darüber. Und du«, brüllte er Noah an, »lässt dich nie wieder hier blicken, klar?«
»Daddy«, sagte Cissy und stürzte vor. »Es war meine Idee. Ich
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