Das Geheimnis der Schwestern
meinen Namen sagen. Eigentlich wollte ich sie mit schroffer Stimme fragen, was sie wollte, nur um cool zu wirken, gleichgültig, aber ich konnte nicht.
»Du hast mir gefehlt«, sagte sie.
Ich weiß nicht mal mehr, was ich gesagt habe. Ich weiß nur, dass ich in der einen Minute noch allein im Dunkeln stand, und in der nächsten Minute war sie bei mir.
SIE LIEBT MICH IMMER NOCH !!!!
Ich fasse es nicht, dass ich daran gezweifelt habe! Sie sagt, es verletzt sie, dass ich so schnell aufgegeben habe. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Wenn man einen Vater hat, der im Gefängnis sitzt, gibt man wahrscheinlich ganz schnell auf. Meine Mom ist, glaube ich, auch so. Aber das soll sich jetzt ändern. Von heute an werde ich jemand sein, der an etwas glaubt. Cissy sagt, dazu muss man sich nur entscheiden, dann wird man es auch.
Dann gab sie mir die Zeitschrift aus Seattle.
Ich wusste sofort, dass das Ärger geben würde.
Winona stand in dem kleinen Bad und spähte zwischen den geometrisch gemusterten Vorhängen hindurch. Von hier aus konnte sie einen Großteil des Gartens sehen – der von der Spätsommerhitze braun und verbrannt war – und zwischen den Bäumen die Mittellinie auf dem Highway.
Sie sah, dass Cissy nebenan an der Einfahrt wartete. Als der gelbe Schulbus vorfuhr und hielt, stieg das Mädchen ein.
Winona verließ das Bad, schlüpfte in die Pantoffeln am Bett und ging zum Nachbarhaus. Sie fand Mark oben im Schlafzimmer.
»Du bist spät dran«, sagte er und legte die Zeitung beiseite.
»Ich bin dick, da kann ich nicht so schnell rennen. Du könntest ja auch zu mir kommen.« Sie kickte die Pantoffeln von den Füßen und kletterte zu ihm ins Bett. Dann schmiegte sie sich an ihn, knöpfte sein Pyjama-Oberteil auf und küsste seine behaarte Brust.
Sekunden später waren sie beide nackt und liebten sich.
Das war ihr Montagmorgen-Ritual, auf das Winona sich die ganze Woche freute. Nach dem Fiasko mit Noah und Cissy hatte Winona schon befürchtet, Mark würde sie verlassen. Er hatte es auch versucht, allerdings verloren sie darüber nie ein Wort. Nach zwei einsamen Wochen war er zu ihr zurückgekommen, und jetzt war es schöner als je zuvor. Sie hatten sich einfach eine Seifenblase erschaffen, wo nur sie zwei existierten und ihre Familien außen vor blieben. Samstagabend, Montagmorgen und Donnerstagnachmittag: Das waren ihre Zeiten. Winona hoffte sehnsüchtig, dass Cissy auch noch Fußball spielen wollte.
Nach dem Sex lagen sie ineinander verschlungen da. Sie küsste seine Achselhöhle, schloss dann die Augen und schlief fast ein.
»Bis Donnerstag ist es noch lange hin«, sagte er.
»Es sind deine Regeln«, murmelte sie. »Ich meine, wir sagen es Cissy einfach, dass wir noch zusammen sind. Die ganze Heimlichtuerei ist doch albern.«
»Du siehst ja nicht, wie sie sich in letzter Zeit verhält. Sie läuft herum wie ein Zombie. So lange war sie noch nie wütend auf mich. Nicht mal, als ich getrunken habe.«
»Ich habe gehört, Noah benimmt sich auch so.«
»Erwähne diesen Namen nicht in meiner Gegenwart. Letzte Woche hat Cissy meine Mom gefragt, ob sie sich ganz sicher sei, Dallas an jenem Abend gesehen zu haben. Mom hat sich so aufgeregt, dass sie erst eine Tablette nehmen musste, um schlafen zu können.«
»Junge Liebe. Sehr widerstandsfähig, denke ich.«
»Mein Gott: Liebe! Sie sind doch erst vierzehn, viel zu jung, um zu wissen, was Liebe ist.« Er warf die Decke von sich und stand auf. »Ich muss zur Arbeit.«
Als er verschwand, blieb sie noch ein Weilchen liegen und blickte hinaus auf den sonnenbeschienenen Kanal. Schließlich stand sie auch auf, zog sich Nachthemd und Pantoffeln wieder an und folgte ihm ins Bad.
Er legte seinen Rasierer weg. »Dieses Thema wollten wir doch aussparen.«
»Ich weiß. Sehen wir uns Donnerstag?«
»Das möchte ich meinen.«
Die nächsten sieben Stunden konzentrierte sie sich auf ihre Arbeit. Ein Klient nach dem anderen kam zu ihr in die Kanzlei, beschwerte sich meist über andere und übertrug es ihr, Gefühlsverwirrungen zu klären und eine akzeptable Lösung für alle Parteien zu finden.
Ihr letzter Termin endete kurz nach vier, woraufhin sie ihre Pumps abstreifte, ihren marineblauen Blazer auszog und sich die Unterlagen für ihre Kandidatur zur Bürgermeisterin vornahm. Die nächste Bürgerversammlung war für Anfang November angesetzt, und sie hatte vor, alle Konkurrenten mit ihrem fundierten und perfekt durchdachten Plan zur Führung der Stadt aus
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