Das Geheimnis der Schwestern
sich unbemerkt an jemanden heranzuschleichen. Als sie sich zur Seite wandte, sah sie, dass Dallas neben ihr stand und einen Schluck von seinem Bier trank. »Ich konnte mich noch nie gut verstellen«, antwortete sie. »Aber du täuschst mich auch keine Sekunde. Ich hab dein Vorstrafenregister gesehen.«
»Sie ist glücklich, weißt du?«, sagte er.
»Und du? Ich hätte nicht gedacht, dass du Kinder willst.«
»Was ich will, ist dir doch ganz egal.«
Es war eine Erleichterung, sich nicht mehr verstellen zu müssen. »Allerdings.«
»Und wieso?«
»Diese Familie war glücklich, bevor du aufgetaucht bist.«
Dallas blickte sich im Raum um; sein Blick verweilte kurz bei Aurora und Richard, die sich leise am Weihnachtsbaum stritten, und dann bei Dad, der seinen dritten Bourbon trank und auf ein altes Foto seiner Frau starrte. »Ach, wirklich?«, gab er zurück. »Dann warst du also glücklich, dass Vivi mit deinem Freund ausging?«
»Er war nicht mein Freund.«
Dallas bedachte sie mit einem wissenden Lächeln. »Und das war das Problem, nicht wahr?«
»Du kannst mich mal.«
Er lachte. »Ist das ein traditioneller Weihnachtswunsch?«
Sie drängte sich an ihm vorbei und ließ ihn stehen. Den Rest des Abends versuchte sie, wie früher die Gegenwart der Menschen zu genießen, die sie liebte, aber Dallas war die ganze Zeit in der Nähe und beobachtete sie, beobachtete sie alle.
Winona zählte die Tage, bis Luke aus Montana zurückkam, wo er die Feiertage bei seiner Familie verbracht hatte. Sie hatten einmal zu Weihnachten miteinander telefoniert, und da hatte er besser geklungen. Endlich. Ihre Freundschaft stand immer noch auf wackligen Füßen, hatte sich noch nicht ganz normalisiert, aber Winona bemühte sich um Geduld. Er brauchte Zeit, mehr nicht. Er würde es schon überwinden. Für Luke würde sie geduldig sein.
Sie verabredete sich für den Abend seiner Rückkehr mit ihm, um zusammen ins Kino zu gehen.
In diesen Wintermonaten brach so früh der Abend an, dass es schon dunkel war, als sie ihre Arbeit beendet und sich umgezogen hatte und zu seinem Haus fuhr. Als er die Tür öffnete, warf sie sich ihm in die Arme und drückte ihn fest an sich. »Ich bin so froh, dass du wieder da bist.«
Er löste sich aus ihrer Umarmung und führte sie ins Wohnzimmer, wo im Kamin ein Feuer brannte und die Lichter am Weihnachtsbaum funkelten, den sie zusammen mit ihm geschmückt hatte. Als sie sich setzte, eilte er in die Küche und kam mit zwei Gläsern Wein zurück.
»Alkohol. Gott sei Dank!« Sie nahm ihr Glas und rutschte zur Seite, um ihm Platz zu machen. Sie streifte ihre Stiefeletten ab und legte ihre Füße auf den Sofatisch. Wie üblich in letzter Zeit sagte er kaum etwas und überließ das Reden ihr. »Du hast ja keine Ahnung, wie komisch Weihnachten dieses Jahr war. Dallas hat alles kaputtgemacht, und außer mir merkt das niemand. Ich würde Vivi am liebsten an den Schultern packen und kräftig schütteln, bis sie sieht, was ich sehe. Vielleicht finde ich eine Möglichkeit, ihr irgendwie sein Vorstrafenregister zukommen zu lassen. Das sollte sie aufrütteln.«
»Ehrlich, Win«, sagte Luke seufzend. »Müssen wir das jedes Mal durchkauen, wenn wir zusammen sind? Das wird langsam langweilig. Sie sind jetzt verheiratet.«
»Und jetzt bekommen sie auch noch ein Baby.«
»Vivi ist schwanger?«
»Das ging schnell, oder? Selbst ich bin überrascht, und normalerweise gehe ich immer vom Schlimmsten aus.«
Luke stand auf, ging zum Kamin und starrte ins Feuer.
»Ein Baby«, sagte er mit leiser, trauriger Stimme.
Winona hätte sich ohrfeigen können. Es war eine ihrer größten Schwächen, dass sie sich zu sehr auf die Details konzentrierte, um das große Ganze im Auge zu behalten. Sie ging immer schon davon aus, dass er über Vivi Ann hinweg war. Jetzt stand sie auf und trat zu ihm. »Tut mir leid, Luke. Ich war gedankenlos. So hättest du es nicht erfahren sollen.«
Er sah an ihr vorbei, aus dem Fenster in die dunkle, verregnete Nacht. »Ich schaffe es nicht.«
»Was denn?«
»Ich dachte, ich könnte hierbleiben und damit zurechtkommen, dass Vivi Ann jemand anderen liebt. Doch ich schaffe es nicht.«
»Aber …« Winona wusste nicht, was sie sagen sollte, wie sie die Angst, die sie plötzlich überkam, in einen zwingenden Einspruch fassen sollte. »Du kannst doch nicht einfach gehen …«
»Was soll ich denn sonst tun, Win?«
Jetzt fühlte sie sich wie eine der alten Eskimofrauen, die auf einer Eisscholle
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