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Das Geheimnis der Schwestern

Das Geheimnis der Schwestern

Titel: Das Geheimnis der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
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gewesen, zuerst als Helferin ihrer Mutter, dann als Mitglied der Jugendgruppe und jetzt als Leiterin.
    Die Veranstaltung dauerte den ganzen Tag, und ehrlich gesagt hatte sie Vivi Ann noch nie so viel Spaß gemacht wie heute. Als es vorbei war und der Tag sich dem Ende näherte, gingen Dallas und sie den matschigen Weg zu ihrem Cottage hinauf. »Ich hab gesehen, dass du dich mit Myrtle Michaelian unterhalten hast«, sagte Vivi Ann.
    »Sie hat die ganze Zeit ihre Tasche umklammert. Ich glaube, sie hatte Angst, ich würde sie ihr entreißen.«
    Lächelnd öffnete Vivi Ann die Tür und ging hinein.
    Im Cottage duftete es weihnachtlich. Dallas hatte in der Ecke am Kamin einen perfekten kleinen Tannenbaum aufgestellt und ein paar übriggebliebene Zweige auf den Kaminsims gelegt. »Fröhliche Weihnachtszeit«, sagte er.
    Wieder einmal überraschte er Vivi Ann. Ihr ganzes Leben lang hatten Männer sie mit Geschenken überhäuft: mit Präsenten, die andere eingepackt hatten und die mit Kreditkarten bezahlt worden waren. Aber dieser kleine, schlicht geschmückte Baum bedeutete ihr mehr als alles andere, weil sie wusste, dass Weihnachten ihrem Mann nichts bedeutete. Er hatte es getan, weil es ihr wichtig war.
    »Deine Freundin – Trayna vom Drugstore – hat mir bei der Auswahl der Dekoration geholfen.«
    Vivi Ann musste lachen bei der Vorstellung, wie Dallas Trayna betreten durch den Drugstore gefolgt war, während sie Engel und Elfen aussuchte. Ein fast schmerzhaftes Gefühl der Liebe für ihn überkam sie.
    »Wieso lachst du? Hab ich was falsch gemacht?«
    »Nein, Dallas Raintree. Du hast alles richtig gemacht.« Sie nahm ihn bei der Hand, führte ihn ins Schlafzimmer und zeigte ihm dort, wie sehr sie ihn liebte.
    Danach lagen sie im Bett und sahen sich an. Durch die geöffnete Tür erhaschte sie einen Blick auf ihren ersten eigenen Weihnachtsbaum, der jetzt in der Dunkelheit funkelte.
    »Ich dachte, es würde dir vor heute grausen«, sagte sie.
    »Nein.«
    »Hast du als Kind auch so kitschige Sachen gemacht?«
    »Nein«, sagte er, sehr leise. Da wusste sie, dass sie einen wunden Punkt berührt hatte.
    »Möchtest du jemanden zu Weihnachten einladen?«
    »Du stellst mir ständig dieselbe Frage, auch wenn du sie unterschiedlich formulierst, Vivi«, antwortete er. »Es gibt niemanden. Nur dich.«
    Es war ihr unbegreiflich, dass ein Mensch so allein sein konnte, wie er behauptete. Sie stützte sich auf einen Ellbogen und blickte ihn an. »Was ist passiert, Dallas?« Zum ersten Mal fragte sie direkt.
    »Er hat sie umgebracht«, sagte er kaum hörbar. »Das ist es doch, was du unbedingt wissen wolltest. Er hat sie jahrelang misshandelt und eines Nachts erschossen.«
    »Warst du –«
    »Ja. Ich war dabei.«
    Da bekam alles auf einmal einen Sinn: die Narben auf seiner Brust, die gelegentlichen Wutanfälle, die er nicht kontrollieren konnte, die Schlafstörungen. Sie stellte sich vor, wie er als Kind Dinge gesehen und gehört hatte, die kein Mensch je erleben sollte. Kein Wunder, dass er nicht über seine Vergangenheit reden wollte. Sie rutschte näher zu ihm und nahm ihn in die Arme, versuchte, mit ihrem ganzen Körper, mit ihrem Herzen und ihrer Seele bei ihm zu sein.
    Er drückte sie so fest an sich, dass sie wusste, ihr Gespräch hatte alte Wunden aufgerissen. Er bedachte sie mit einem Blick, in dem eine herzzerreißende Mischung aus Glück und Schmerz lag. Plötzlich fragte sie sich, ob er immer mit dieser unerträglichen Kombination leben musste. Sie küsste ihn auf den Mund, auf die Wange, und dann flüsterte sie ihm ins Ohr: »Wir bekommen ein Baby.«
    Wortlos zog er sie nur noch enger an sich und hielt sie fest.
    »Bist du dazu bereit?«, fragte sie.
    Er löste sich gerade genug von ihr, um ihr in die Augen zu sehen, und die Liebe in seinem Blick war Antwort genug.
    Weihnachten 1992 würde für Winona als zweitschlechteste Erinnerung in die Annalen der Familie Grey eingehen: direkt nach dem Jahr, in dem ihre Mutter starb.
    Sie hatte versucht, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Sie war im Farmhaus erschienen, um alles für Weihnachten zu schmücken. Sie war die steile Treppe zum Dachboden hin auf- und hinuntergeklettert und hatte bis zur völligen Erschöp fung staubige Kisten mit Weihnachtsschmuck geschleppt. Während sie mit ihren Schwestern schmückte, hatte sie genau die richtigen Dinge gesagt: Guck mal, Vivi, hier ist der Schutz engel, den du in der vierten Klasse in der Kirchenfreizeit gebastelt hast … und

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